Prof. Dr. Gerhard Schaefer

Naturwissenschaftler, Bildungsforscher

Japanprojekt:
Schülerbefragung 
deutscher Teil

Das „Begreifen“ hochrangiger Begriffe

Verstehen Gymnasialschüler in Deutschland noch ihre Welt?

Wo ist ihre Natur, ihre Kultur, – noch in den Sinnen, oder nur im Kopf?
Unterscheiden sie Kultur von Zivilisation, Wirklichkeit von Realität?

Eine deutsch-japanische Vergleichsstudie,

deutscher Teil

von Gerhard Schaefer
unter Mitwirkung von Sigrid Zörgiebel-Schaefer

1. Einleitung

In dem parallel dargestellten Aufsatz wurden bereits die wichtigsten Ergebnisse des Lehrertests aus dem deutsch-japanischen Forschungsprojekt vorgestellt, das in den letzten 3 Jahren zum Vergleich der beiden Schulsysteme durchgeführt wurde 1). Hier folgt nun der Bericht aus dem Schülertest des Projektes. Beim Lehrertest kam heraus, dass das deutsche Gymnasium einen besonderen Akzent auf „Kopftraining“, d.h. auf die Schulung des rationalen Denkens in sozialem Kontext legt (sozusagen das Gymnasium als „Sozialeinrichtung zum VerstandestraIning“), dabei aber sowohl die körperlich-gesundheitliche Seite als auch die sinnlich-künstlerische und die spirituelle Seite des Menschen stark vernachlässigt.

In dem hier vorgelegten Bericht aus dem Schülertest soll es nun – unter anderem – um die Frage gehen, in welchem Verhältnis bei Schülern2) die kognitiven Anteile von Begriffen zu ihren sinnlichen Anteilen stehen, m.a.W. wie „rund“ (kognitiv + affektiv + sensorisch) oder wie einseitig (vielleicht nur kognitiv) wichtige Begriffe des täglichen Lebens bei ihnen sind.

In einem früheren Projekt („Balanced Thinking“, Schaefer/Yoshioka 2000) kam auf die Frage, wie wichtig zum Beispiel der System-Begriff für ein Verständnis unserer Welt ist, heraus, dass etwa ein Drittel der deutschen Schüler (in Japan noch mehr) die Frage verneinten und meinten, ein tieferes Verständnis des System-Begriffs sei „wenig sinnvoll“.

Das Ergebnis zeigte, dass den Schülern durch den Schulunterricht nicht klar geworden war, welch wichtige Rolle Oberbegriffe für das Verständnis aktueller Begriffe des täglichen Lebens spielen. Wer den Begriff „System“ nicht verstanden hat, kann auch nicht verstehen, was ein „Ökosystem“, ein „Verdauungssystem“, ein „Wirtschaftssystem“ usw. ist. Ferner muss man zum Verstehen eines Begriffs (des Produkts) vor allem wissen, wie er zustande gekommen ist (also den Prozess seiner Entstehung).

Beispiel: der Begriff „System“. Zunächst wird ein „Objekt“ aus seiner Umgebung herausgegriffen und analytisch in Teile („Elemente“) zerlegt. Anschließend werden diese Teile durch ausgewählte „Relationen“ wieder zusammengesetzt. Das Ergebnis ist dann nicht mehr das ursprüngliche „Objekt“, sondern ein (mensch-gemachtes) „System“. Wer das verstanden hat, weiß, dass ein „Ökosystem“ nicht naturgegeben oder sogar „Natur“ selbst ist, sondern ein vom Menschen konstruiertes Gebilde.

Aus der damaligen Untersuchung neugierig geworden, sollten nun in dem hier dargestell-ten Projekt weitere solche Oberbegriffe untersucht und ihr Einfluss auf das Verstehen von Unterbegriffen geprüft werden. Die Populationen dieser Untersuchung bestanden aus 207 deutschen und etwa gleich vielen japanischen Gymnasialschülern im Alter von 15-16 Jahren.

1) Die Mitglieder der Projektgruppe werden am Schluss des Aufsatzes benannt.
2) Wenn das Geschlecht nicht eine besondere Rolle spielt und eigens benannt werden muss, werden hier Schülerinnen und Schüler der Einfachheit halber immer zusammenfassend als „Schüler“ (engl. „students“, „pupils“ oder einfach „learners“) bezeichnet.

2. Auswahl der Begriffe für diese Untersuchung

Die in Abb.1 dargestellten Begriffe wurden der gemischt aus deutschen und japanischen Kollegen zusammengesetzten Projektgruppe vorgestellt mit der Frage, welche von ihnen für die vergleichend deutsch-japanische Untersuchung besonders geeignet seien. Die hier fett gedruckten (Natur, Evolution, Kultur, Zivilisation, Wirklichkeit und Realität) wurden ausgewählt, weil sie für das Verständnis unserer heutigen Welt wichtig seien und weil ihre Übersetzung ins Japanische in einem internationalen Vergleichsprojekt keine Probleme bereite.

Allerdings mit einer Ausnahme: der Begriff „Wirklichkeit“ findet im Japanischen (so wie ja auch im Englischen) keine Entsprechung; dort wird nur der Begriff „Realität“ (engl. reality) gebraucht. „Wirklichkeit“ wurde trotzdem in die Untersuchung mit aufgenommen, weil wir daran interessiert waren zu erfahren, welchen Unterschied die deutschen Schüler zu „Realität“ sehen und ob sie – wofür vieles spricht – Wirklichkeit als den Oberbegriff von Realität ansehen, der eine „innere“ (subjektive) und eine „äußere“ (objektivierbare) Komponente umfasst, welch letztere dann eben „Realität“ wäre.

Abb. 1:  63 hochrangige Begriffe aus Alltag und Wissenschaft (Schaefer 2007/2010/2014). Die 6 fett gedruckten Begriffe wurden für diese Untersuchung ausgewählt.

Jeder Schüler/ jede Schülerin sollte sich einen dieser Begriffe auswählen und nur diesen allein im Test bearbeiten. Die Wahl von „Natur“ fiel auf 20% der Schüler, von „Kultur“, „Zivilisation“ und „Evolution“ auf je 19%, von „Realität“ auf 12 % und „Wirklichkeit“ auf 11% der Schüler.

3. Methoden der Begriffsuntersuchung

Ein „Begriff“ wurde in der vorliegenden Untersuchung nicht, wie in Sprachwissenschaften und Philosophie leider vielfach noch üblich, zweiteilig verstanden als Verbindung von „Name“ (Wort, Bezeichnung, Terminus) mit „Inhalt“ (der rationalen Bedeutung), sondern, wie uns die eigene über 40-jährige pädagogische Begriffsforschung gelehrt hat, dreiteilig, bestehend 1. aus dem Namen (dem Wort, der Bezeichnung) als Träger des Begriffes und Kommunikationsmittel, 2. aus einer dichten Hülle von Assoziationen aus dem Alltag, die an diesem Wort dran hängen und – meist unreflektiert – mit ihm übertragen werden, und 3. aus der im Inneren durch logische Strukturierung von Erfahrung gebildeten logischen Kern.

Dieses dreiteilige Begriffsmodell wurde von G. Schaefer 1979 „Kletten-Modell“ genannt (Abb. 2), weil Begriffe im Alltag vom Empfänger – trotz intensiver rationaler Schulung – nur selten aus ihrem logischen Kern heraus, also „rational“ verstanden werden, sondern sich meist über freie Assoziationen „wie die Häkchen einer Klette an ihn heften“, bei ihm Reaktionen auslösen und von ihm weitergetragen werden. Wir werden im Folgenden Begriffe in diesem Sinne dreiteilig verstehen.

Abb. 2: Klettenmodell von Begriffen (nach Schaefer 1979)

Die Bearbeitung des jeweils ausgewählten Begriffes sollte innerhalb einer Unterrichtsstunde in 7 verschiedenen Schritten erfolgen (Voruntersuchungen hatten ergeben, dass dies zeitlich realistisch war):

1.Schritt: Freier Assoziationstest.   Zu den gewählten Stichworten sollten frei, spontan, ohne Nachdenken, Assoziationen aufgeschrieben werden, die den Schülern dazu einfielen.

2.Schritt: Bewertungstest.  Das gewählte Stichwort sollte einmal schlicht emotional bewertet werden nach schön/nicht schön, gut/schlecht, angenehm/unangenehm, wichtig/unwichtig usw.

3.Schritt: Gebundener Assoziationstest.  Um das Stichwort herum wurden 27 andere hochrangige Begriffe vorgegeben (daher „gebundener“ Test). Die Schüler sollten bis zu 8 Verbindungslinien zu solchen Randbegriffen ziehen, die nach ihrer Meinung mit dem Zentralbegriff etwas zu tun hatten. Dies brauchte nicht begründet zu werden (da ja ein „Assoziations“-Test).

4.Schritt: Definitionstest. Die rationale „Bedeutung“ des Begriffes sollte kurz und präzise in 1 Satz definiert werden.

5.Schritt: Verbifikationstest.  Der Begriff, der normalerweise ein Substantiv ist,  sollte als Tätigkeit, als Verb formuliert werden, um den Prozess seiner Entstehung zu erhellen.

6.Schritt: Sinnlichkeitstest. Die Schüler sollten einmal die Augen schließen, sich den Begriff vorstellen und dann aufschreiben, ob sie eine der 5 großen Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen/Tasten) hatten, und welche.

7.Schritt: Gestiktest. Der gewählte Begriff sollte einmal stumm nur mit den Händen dargestellt werden (Körpersprache, Gestik).

Da, wie oben angemerkt, der Lehrerteil des Projektes ergab, dass das deutsche Gymnasium offenbar stark „verkopft“ ist und die sinnliche Wahrnehmung der Welt vernachlässigt, wird hier in diesem Aufsatz der Schwerpunkt gezielt auf das Verhältnis „Rationalität/ Sensualität“ gelegt und geprüft, wie dieses Verhältnis bei 15-/16-jährigen Gymnasialschülern aussieht.

Entsprechend werden im Folgenden zur Prüfung der Rationalität die Ergebnisse der Assoziationstests (Schritte 1 und 3) sowie des Definitions- und Verbifikationstests (Schritte 4 und 5) herangezogen. Zur Prüfung der Sensualität dienen dann die Ergebnisse der Sinnlichkeitsaufgabe (Schritt 6). Ein Vergleich mit den beiden übrigen Aufgaben (Schritte 2 und 7) sowie mit den japanischen Ergebnissen kann später in einem gesonderten Aufsatz erfolgen.

Da bei Begriffs-Analysen ein tieferes Verstehen erreicht wird, wenn jeweils ein kontrastierendes Begriffs-Paar gewählt wird, werden im Folgenden paarweise Natur und Evolution, Kultur und Zivilisation sowie Wirklichkeit und Realität untersucht.

Um den Grad des Konsenses unter den Schülern zu dokumentieren, wird hier ein „Homogenitäts-Index“ (HI) eingeführt. Er ist der Quotient aus der Zahl der Mehrfach-Nennungen (der Übereinstimmungen) und der Zahl der Einzelnennungen: HI = m mehrfach / m einzeln.

4.  Empirische Ergebnisse aus Deutschland

In den folgenden Tabellen sind rechts zuweilen Spalten mit „pos“ (+) und „neg“ (−) angefügt sowie mit „stat“ und „dyn“. Die erstgenannten geben affektive Tönungen (positiv bzw. negativ) an, die den Angaben der Schüler nach Meinung der Testauswerter zukommen.

Die Spalten daneben „stat“ und „dyn“ dagegen sollen dokumentieren, welche Angaben einen (statischen) Zustand und welche einen (dynamischen) Vorgang betreffen.

Um die jeweils getroffene Einordnung in „pos“, „neg“, „stat“ und „dyn“ für den Leser nachvollziehbar zu machen und damit zu objektivieren, werden die Verfahren hier kurz erläutert:

Dokumentation affektiver  Schüleraussagen mit „pos “ (+) bzw. „neg“ (−)

Grundlage für alle Einzelbewertungen ist das Vorliegen einer Grundbewertung von Phänomenen dieser Welt, über die vermutlich Konsens unter allen Menschen besteht. Wenn man diese Grundbewertung als allgemein akzeptiert voraussetzten kann, sind alle Einzelbewertungen, die hier getroffen werden, als hinreichend „objektiv“ zu betrachten. Dazu können nach Studium der philosophischen, pädagogischen und politischen Weltliteratur sowie der heutigen Tagespresse sicherlich folgende Grundbewertungen gerechnet werden:

  1. Gesundheit gilt als grundsätzlich „positiv“  (siehe „Gesundheitserziehung“);
  2. Frieden gilt als grundsätzlich „positiv“ (siehe „Friedenserziehung“);
  3. Intakte Umwelt gilt als grundsätzlich „positiv“ (siehe „Umwelterziehung“).

Nimmt man noch die 3 „Kompetenzen“ der OECD als Grundbewertungen hinzu, so kommen wir zu

  1. Autonomie der Persönlichkeit (hängt mit „1“ oben zusammen, wenn die „seelische Gesundheit“ dazugerechnet wird);
  2. Fähigkeit, in heterogenen Gruppen zu leben (hängt stark mit „2“ oben zusammen);
  3. Die mediale Fähigkeit, Hilfsmittel wie Sprache und technische Geräte sowohl für Unterrichtsgestaltung als auch generell für die Interaktion Individuum/Gesellschaft zu nutzen.

Alle Schüleraussagen, die einer oder mehrerer dieser 6 Grundbewertungen entsprechen, sind mit „+“ bzw. „pos.“ und alle Aussagen, die ihnen widersprechen, mit „−“ bzw. „neg.“ bezeichnet worden.

Aussagen, bei denen dies nicht klar entscheidbar ist, werden als „affektiv neutral“ angesehen; hier entfällt die +/- bzw. pos/neg-Bewertung.

Beispiele für „pos.“(+):

Freiheit, gutes Essen, tiefer Schlaf, Seelenruhe (→1);
schöne Auslandsreisen, Völkerverständigung  (→ 2);
Gartenpflege, Blumenbeete, Waldesrauschen, Aufforstung (→3);
Selbständigkeit, Selbstvertrauen, Sicherheit, Bildung (→ 4);
Menschenachtung, Respekt vor anderen, Nächstenliebe (→ 5);
Sprachbegabung, Computer-Beherrschung  (→ 6). 

Beispiele für „neg“(−):

Fress-Sucht, Schlaflosigkeit, Faulheit, Sexismus (→ 1);
Hass, Asylantenfeindlichkeit, Überheblichkeit, Habgier (→ 2, auch 5);
Abholzung, Raubbau an der Natur, Klima-Katastrophe (→ 3);
Unterdrückung, Abhängigkeit, Unsicherheit (→ 4);
Verschlossenheit, Sprach-Barriere, Technik-Phobie (→ 6).

Es gibt natürlich auch Grenzfälle, wo die Meinungen zweier Gutachter auseinandergehen und der eine etwas als „positiv“ empfindet, der andere aber aufgrund seiner anderen Sozialisation als „negativ“. Dieser subjektive Faktor lässt sich grundsätzlich nie ganz ausschließen. Er war aber in Deutschland offensichtlich gering und lag nach den Erfahrungen mit zwei verschiedenen Gutachtern bei 1,7 %, die Übereinstimmung also bei 98,3%.

Dokumentation der Dynamik von Schüleraussagen mit „stat“ oder„dyn“:  

Die statisch/dynamische Bewertung von Worten trägt viel zur Einschätzung von Denkweisen bei und ist deshalb hier bei Natur, Evolution, Kultur und Zivilisation mit angefügt worden.

Wenn eine Schülerangabe etwas beschreibt, das ruht (sich nicht bewegt bzw. nicht verändert), ist es mit „stat“ bezeichnet worden; wenn sie dagegen etwas beschreibt, das sich bewegt bzw. verändert, ist es als „dyn“ charakterisiert worden. (NB: Auf lange Sicht verändert sich natürlich alles, so dass am Ende alles „dyn“ wäre!).

Bei Worten, bei denen weder das eine noch das andere zutrifft bzw. wo dies aufgrund der Isolierung des Wortes aus dem Satzzusammenhang heraus nicht entscheidbar ist, entfällt die Charakterisierung.

Beispiele  für „stat“:  Felsen, Baum, Haus, Gesetz, unveränderlich, unbeweglich, starr.

Beispiele für „dyn“:  Fluss, Wind, Bewegung, Wachstum, Metamorphose, Reifung, leben, lieben, altern, entwi-

ckeln, zerstören, beeinflussen, bewirken, abholzen, aufforsten, reparieren.

Beispiele für neutral:  System, Struktur, Beziehung, Gedanke, Vorstellung, Luft, Wasser (diese können statisch

oder dynamisch sein,  je nach Kontext, in dem das Wort steht).

4.1 Begriffe „ Natur“ und „Evolution“

4.1.1  Freie Assoziationen

Tab. 1„Natur“   Zahl der Schüler  n = 41;      Zahl aller abgegebenen Assoziationen   mges. = 411.

Prozentzahlen alle auf mges. bezogen.

Allgemeines,

Formales

nicht-lebende

Natur

Lebewesen
Pflanzen Tiere Mensch
 

 

häufige

Ass.

 

schön 10x   Leben 8x    frei/ heit) 8x  draußen 6x frisch 6x    Umwelt 5x   Ruhe/ruhig 4x   Vielfalt 4x     Bio2x   wild 2x

natürlich 2x   Wachstum2x  Verschmutzung 2x     kalt 2x

Naturkatastrophe 2x

Berge 12x    Luft 11x

See11x     Sonne 10x

Wasser 10x    Flüsse 6x   Meer 6x     Erde 4x

Wetter 4x    Regen 4x

Steine 3x Landschaft2x

Habitat 2x    Bach 2x

Bäume 27x

Wald 21x   grün 18x  Blumen 16x   Pflan-zen 15x   Gras 8x

Wiese 8x    Pilze 4x

Busch 3x   Felder 2x

Abholzung2x

Tiere 32x

Vögel 8x

Mensch 4x

Jäger 3x

65x = 15,8 % 87x = 21,2 % 124x=30,2 % 40x=9,7% 7x= 1,7 %
Gesamtsumme der Mehrfach-Assoziationen: 323 = 78,6 %
 

 

 

 

 

Einzel-

Ass.

unbelastet   braun   lebendig     Tod   unberührt   bunt   Kraft

Evolution   Zukunft   Feuer

naturbelassen   Erneuerung

unterschiedlich  komplex Umweltverschmutzung  Na-turschutzgebiet  Biotop Hilfe    Arten   Zerstörung  ländlich   Nationalpark  Kreislauf  Öko-logie    beschmutzt   lebens-wichtig Naturwissenschaften

Wunder der Natur     spekta-kuläre Bilder

Eis    Schluchten   Wind

Wüsten  Grotten  Amazonas   Strand    Hügel Berglandschaft   Sturm

schöne Seen    Wolken

Schnee    Jahreszeiten

Sonnenaufgang

    “   -untergang

Holz  Früchte  Blatt

Baumhaus   Agrar

Photosynthese

Bambus   Rodung

Rekultivierung

Dschungel   Urwald

Vegetation

Seekühe Wild    Hund   Bär Fuchs    Fisch

zwitschern

Fliege   Insekten    Qualle

FaultierKängu-ruhs  Schlange

Vogelgesang

Schmetterling

Gesundheit  Einsamkeit Bedrohung

Sport Schirm

Sammler

spazieren       entspannen

CampingPick-nick schützen

alleine  Paradies wandern

Lebensfreude

30x = 7,3 % 16x = 3,9 % 12x = 2,9 % 15x=3,6% 15x =3,6%
Gesamtsumme der Einzelassoziationen: 88 = 21,4 %
Spalten ∑

HI

95x =

23,1 %

2,17

103x =

25,1 %

5,44

136x =

33,1%

10,33

55x =

13,4 %

2,67

22x =

5,4 %

0,47

ges. Gesamtsumme aller Assoziationen  mges. =  411     HIges. = 3,67

 

Ergebnis:

Die Analyse der Freien Assoziationen zum Stichwort „Natur“ zeigt, dass die Schüler dabei etwa zur Hälfte (51,9 %) an die belebte Natur denken, etwa zu einem Viertel (25,1 %) an die unbelebte und nur zu etwa einem Zwanzigstel (5,4 %) an die menschbezogene Natur. Der Rest von etwa einem Viertel (23,1 %) entfällt auf allgemeine, formale Ausdrücke, die ja bei jedem Begriff als „Überbau“ eine Rolle spielen.

Die auffallende Zurückhaltung, was den Menschen betrifft, kann evtl. als Zeichen eines eher objektiven Naturbegriffs auf der assoziativen Ebene gedeutet werden. Dafür spricht auch der relativ hohe Anteil allgemeiner, formaler Assoziationen (ein Viertel, s.o.) sowie ein relativ niedriger Prozentsatz emotional getönter Assoziationen  (in der obigen Tabelle nicht wiedergegeben), die mit einer Summe von nur 23,1 % erstaunlich wenig vertreten sind. Dies verwundert beim Naturbegriff deshalb, weil er ja einerseits oft als „schöner Traum von Natur“ empfunden, andererseits in der Politik sehr oft negativ und kontrovers diskutiert wird.

Unter den emotional getönten Assoziationen überwiegen aber glücklicherweise die positiven mit 18,7 % deutlich über die negativen mit 4,4 % (Positivquotient PQ = 4,3). Ein Beispiel: „Leben“ kommt unter den 411 freien  Assoziationen immerhin 8x vor, „Tod“ dagegen nur 1x.

Die positiv getönten Assoziationen heben sich von den negativ getönten auch durch einen mehr als doppelt so hohen „HI“ ab: pos 1,85, neg 0,8. Das heißt: Die Jugendlichen waren sich bzgl. der positiven Konnotationen von Natur (Natur als das Schöne, Frische, Befreiende) mehr als doppelt so einig wie bei der negativen (Natur als das Bedrohliche), wo die Meinungen weiter auseinander gehen.

In diesem Zusammenhang ist auch die Beobachtung interessant, dass die untersuchten 41 Jugendlichen Natur mehr statisch, als „gegeben“, ansehen als dynamisch, als die „Werdende“. Das Verhältnis 263 : 74 (in der obigen Tabelle nicht angegeben), also das 3,6-fache, ist extrem, und auch der Homogenitäts-Index HI ist bei der statischen Betrachtung mit 5,74 etwa 5 mal so hoch wie bei der dynamischen 1,11. Das heißt: die Jugendlichen sind sich darüber außerordentlich einig, dass Natur „so ist, wie sie ist“, und sie sehen sie nicht so sehr im Prozess der Entwicklung, wie es das Partizip Futur „natura“ eigentlich nahelegt. Die Assoziation „Entwicklung“ kam zum Beispiel unter den 411 freien Assoziationen nicht ein einziges Mal vor, und auch „Evolution“ nur einmal. Hierauf wird weiter unten bei der Analyse des Evolutionsbegriffs noch einmal eingegangen.

Diese Feststellung unterstreicht auch noch einmal die Beobachtung aus dem Lehrertest dieses Projektes, nämlich dass im Unterricht der deutschen Gymnasien etymologische Wortanalysen offenbar nicht gepflegt werden. Sonst müssten ja die Schüler mit „Natur“ das lateinische „natura“ assoziieren, das als Partizip Futur von „nasci = geboren werden“ so viel bedeutet wie: „die noch geboren Werdende“. Vom Worte ausgehend, etymologisch, „ist“ also Natur gar nicht, sondern „wird“ immerfort.

Der Naturbegriff ist auf der assoziativen Ebene bei diesen Jugendlichen deutlich statisch gesehen, als lebendige Natur verstanden, wenig menschbezogen, daher eher objektiv und auch wenig emotional, jedoch im Emotionalen deutlich stärker positiv als negativ.

Nach diesem allgemeinen Fazit soll nun noch ein differenzierender Seitenblick auf Jungen und Mädchen sowie auf Nord- und Süddeutschland geworfen werden:

Der Anteil der emotional getönten Assoziationen war bei den Mädchen mit 16,7 %, viel höher als bei den Jungen (9,4%), wobei das Verhältnis pos/neg (PQ) bei ihnen 4,8, bei den Jungen aber nur 3  betrug. Die hier untersuchten Mädchen assoziierten also Natur stärker emotional und stärker positiv als die Jungen. Auch war der „Sprudeleffekt“ (Zahl der abgegebenen Assoziationen pro Schüler) mit durchschnittlich 10,2 bei den Mädchen etwas höher als bei den Jungen mit 9,8, wobei dann auch ihre Homogenität größer war: HI bei den Mädchen ca. 3,0, bei den Jungen ca. 2,6 .

Unterschiede Nord-/Süddeutschland: Der Anteil an emotional getönten Assoziationen insgesamt war etwa gleich: N 14,7%, S 14,1 %. Dabei war allerdings das Verhältnis pos/neg (PQ) im Süden mit 4,9 deutlich positiver als im Norden (PQ = 3,2).   Der „Sprudeleffekt“ (Zahl der Assoziationen pro Schüler) war dagegen im Norden mit 10,5 etwas höher als im Süden (9,8). Auch war hier die Einheitlichkeit der Angaben größer (HI N: 2,8,  S: 2,24), was ja umgekehrt bedeutet: Die Divergenz im S größer als im N. Dazu gehört sicher auch die interessante Beobachtung, dass die beiden herausstechenden Landschafts-Charakteristika von S und N, die Berge und das Meer, in den Assoziationen nicht entsprechend auftauchten: „Meer“ im Süden immerhin 5x, im N hingegen, wo es ja hin gehört, nur 1x. Merkwürdig auch, dass die Assoziation „Naturwissenschaften“, die ja bei „Natur“ so nahe läge, in der Menge von 411 Assoziationen nur einmal (im N) vorkam. Hat der naturwissenschaftliche Unterricht in den Schulen so wenig zur „Naturnähe“ der Schüler beigetragen?

Allgemeines, Formales

(einschl. Evol.theorie)

nicht-lebende

Natur

Lebewesen
Erste Organismen + Pflanzen Tiere Mensch
 

 

 

 

häufige

Ass.

 

Veränderung 33x  (Weiter)- Entwicklung32x   Geschichte 11x   Darwin(ismus) 10x

Verbesserung 8x   Zeit 7x      neu 7x  Anpassung 7x   Fortschritt 6x  Revolution5x    Theorie4x Welt4x Urknall3x

Evolutionslehre3x  Urzeit2x

Mutation 2x Selektion2xEn-de2x  langsam2x   Beginn2x  Zukunft 2x  lange 2x   Umwelt 2x   evolvere 2x

Natur 4x    Erde 3x

Steinzeit 3x  Wasser 2x

Meer 2x

Leben8x Biologie 8x

Zellen 3x Einzeller3x

Lebewesen 3x

Affe 20x

Tiere 10x

(Dino)Sau-

rier  5x

Reptilien3x

Haare 2x

Menschheit28x

Technik  6x

Technologie 2x

Kirche 2x

Intelligenz 2x     lernen 2x

T-Shirt 2x

160x = 44 % 14x = 3,9 % 25x =6,9% 40x=11% 44x =12,1%
Gesamtsumme der Mehrfach-Assoziationen:  283 = 78 %
 

 

 

 

 

 

 

Einzel-

Ass.

Aufgabe  Macht   Unterlegenheit   Überlegenheit   Linné   Survival of the fittest     gut    Homologie  Zeitwende  geht    Anfang

natürliche Auslese     real

andauernd    Optimierung

entstehen    Kuriositäten

neue Zeit beginnt  Anatomie  Genetik  verstärken  Zufall  Vielfältigkeit  Chaos  Schritte     gr. Zeitspanne    Epochen  früher einzigartig

Verlauf in der Geschichte

schlecht    verschlechtert   Endprodukt    Artenvielfalt  Vergangenheit Reihenfolge  Jahrtausende    Gewalt       

Umwelteinflüsse   Lebensraum   Eiszeit Zellteilung  primitiv

Stammzellen   DNS

Bakterien   Rassen

auf/wachsen

Pflanzen Dschungel

Orang-Utan

Schimpanse    Fische  Kampf

Verteidigung  

Allesfresser

Fortbewegung

Käfer

Homo  sapiens

Aufrechtgehen

Hinrichtung Zu-sammenarbeit    Reim   Bildung   Vorfahren   Ufo

VolleyballChina

Mitsubishi:Evol.

Lebensausrich-

tung    Geduld

Zerstörung der Erde    Medizin

Maschinen   In-dustrialisierung  schlauerwerden Jugendliche   

Wohl der Menschen

38x = 10,5 % 3x = 0,8 % 10x =2,8 % 8x =2,2 % 20x = 5,5 %
Gesamtsumme der Einzelassoziationen:  79 = 21,8  %
Spalten ∑

HI

198x = 52,8 %

4,2

17x = 4,7 %

4,7

35x = 9,6%

2,5

48x=13%

5,0

64x = 17,6%

2,2

ges. Gesamtsumme aller Assoziationen  mges. =  363     HIges. = 3,6
Ergebnis: Es ist erstaunlich und unerwartet, dass immerhin mehr als die Hälfte der Freien Assoziationen zu „Evolution“ (52,8 %) auf Allgemeines/Formales und Evolutionstheorie entfallen, obwohl in diesem Alter im deutschen Gymnasium das Thema „Evolution“ noch nicht ausführlich behandelt wurde (es ist immer noch vorrangig ein Thema für die Oberstufe).

Auffallend und alarmierend, aber dazu passend, ist auch die Beobachtung, dass die nicht-lebende Natur mit nur 4,7 % im Schüler-Konzept von Evolution kaum eine Rolle spielt, obwohl gerade die Anfangsstadien zum Verständnis des Ganzen so wichtig sind. Dazu passt auch, dass das Grundkonzept der naturwissenschaftlichen Evolutionslehre, der Zufall, unter 363 Assoziationen nur ein einziges Mal genannt wird.

Dagegen betreffen etwa 40% der freien Assoziationen die Evolution des Lebens, die ja im Alltag der Schüler und auch in den Medien eine weitaus größere Rolle spielt. Das Verhältnis 57,5 (nicht-lebend) : 40 (lebend) liegt nahe bei 48,2 : 51,9, das wir beim Begriff „Natur“ fanden. Dies weist auf eine gewisse Nähe der beiden Begriffe im assoziativen Bereich hin.

Auch dass hier Assoziationen zum Menschen nur einen erstaunlich kleinen Teil ausmachen (17,6 %), deutet auf eine assoziative Nähe zum Naturbegriff hin (dort 5,4 %). Wenn wir aber – was sachlich gerechtfertigt wäre – noch die näheren Verwandten des Menschen aus der Spalte „Tiere“ hinzurechnen (Affen, Orang-Utan, Schimpanse, zusammen 22x = 6,1%), so kommen wir bei „Evolution“ doch schon auf eine Summe von immerhin 23,7 %, die deutlich von den 5,4 % bei „Natur“ abweicht. Dieser Unterschied ist verständlich, da ja bei „Natur“ (s. Definitionen) der Mensch bewusst als Faktor ausgeklammert wird, während er in der Evolution eine große – wenn auch nicht immer rühmliche – Rolle spielt (s. Einzelassoziationen wie „Zerstörung der Erde“, „Maschinen“, „Industrialisierung“).

Jedoch zeigt sich eine Nähe der beiden Begriffe noch einmal im emotionalen Bereich: bei Natur und Evolution ist der Anteil positiver Tönungen (in der obigen Tabelle nicht extra ausgeführt) etwa 4,3 mal so hoch wie der Anteil der negativen, − beide Begriffe werden also von den Schülern offenbar als sehr positiv empfunden. Dabei ist jedoch die gesamte assoziative Emotionalität, die schon bei „Natur“ auffallend niedrig war (nur ca. 23,1 %) noch viel geringer bei „Evolution“ (ca. 13,5 %). Die Natur steht assoziativ den hier befragten jungen Menschen emotional näher als die Evolution, vermutlich weil sie selbst persönlich erlebt ist.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied der Begriffe zeigt sich außerdem bei der Analyse der Assoziationen nach „statisch/dynamisch“: Bei „Natur“ liegt der Schwerpunkt mehr auf der statischen Seite (64 : 18 %), bei „Evolution“ dagegen – wie zu erwarten – mehr auf der dynamischen (39 : 54 %). Natur wird (wie oben schon ausgeführt) ganz zu Unrecht als das gesehen, was „ist“, Evolution dagegen, ganz zu Recht, als das,  was „wird“.

Dieser Unterschied wird noch durch den „Homogenitäts-Index“ HI unterstrichen: bei Natur liegt er mit 5,74 auf der statischen, bei Evolution mit 3,9 auf der dynamischen Seite. Die relativ hohen Werte zeigen, dass sich die Schüler bzgl. der Einschätzung „statisch“ oder „dynamisch“ sehr einig waren.

Der Evolutionsbegriff wird von diesen Jugendlichen assoziativ deutlich dynamisch gesehen (Evolution als laufender Prozess), dabei nur knapp zur Hälfte auf die lebendige Natur und sogar weniger als ein Viertel auf die Menschwerdung bezogen. Er ist schwächer emotional getönt als der Naturbegriff, aber wie dieser sehr positiv assoziiert.

 

Und nun noch ein kurzer Seitenblick auf Jungen und Mädchen und auf mögliche Unterschiede Nord-/Süddeutschland: Bei den Jungen lagen an der Spitze der mehrfach genannten Assoziationen (wohl als empfundene Synonyme von Evolution) die allgemeinen, unspezifischen Begriffe „Entwicklung“ und „Veränderung“. Dann erst folgten bei ihnen konkrete Vorstellungen wie „Mensch(heit)“ und „Affen“. Bei den Mädchen dagegen stand „Mensch(en)“ an erster Stelle, gefolgt von „Entwicklung“ und darauf „Affen“, „Geschichte“, „Veränderung“. Wie oben gezeigt, tritt diese hohe Bewertung der menschlichen Evolution aber in der Gesamtmasse aller Assoziationen nicht in Erscheinung, weil sich 82,4 % auf andere Dinge beziehen.

Während „Darwin“ bei den Jungen schon an 5.Stelle rangierte, kam diese Assoziation bei den Mädchen nur einmal vor. Überhaupt war auffallend, dass spezielle Begriffe der Evolutionstheorie wie „Mutation“, „Selektion“, „Genetik“, „natürliche Auslese“, „survival of the fittest“ usw. bei beiden Geschlechtern nur vereinzelt und nicht mehrfach vorkamen. Dies ist wieder ein Indiz für das Monitum der Nationalen Akademie der Wissenschaften „Leopoldina“ (2017), dass in Deutschland Evolutions-Unterricht an den Schulen nur mangelhaft erfolgt. Dazu passt auch die Beobachtung, dass „Technik“, „Technologie“, „Maschinen“, „Industrialisierung“, die ja die Evolution des Menschen seit über 100 Jahren entscheidend prägen, nur vereinzelt genannt werden.

Beim Vergleich Nord/Süd ist ein wesentlicher Unterschied in den Spitzenpositionen der Freien Assoziationen nicht festzustellen. Ein kleiner Unterschied besteht jedoch darin, dass in Süddeutschland schon 6,3 %, in Norddeutschland aber nur 4.5 % der Assoziationen den speziellen Bereich „Evolutionstheorie“ betreffen, umgekehrt jedoch im Norden 1,9 %, im Süden aber nur 1,5 % sich auf moderne Technik beziehen.

 

4.1.2   Gebundene Assoziationen

Bei diesem Test wurde den Schülern ein Schema mit 27 Randbegriffen vorgelegt (Abb. 3). Sie sollten ihr Stichwort in die Mitte schreiben und von ihm bis zu 8 Linien zu solchen Randbegriffen hin ziehen, von denen sie meinten, dass sie mit dem Zentralbegriff etwas zu tun hätten. Sie brauchten dies nicht zu begründen (da ja ein „Assoziationstest“).


Abb. 3: Vorlage für den gebundenen Assoziationstest

   In Abb. 4 werden die gebundenen Assoziationen zu „Natur“ und „Evolution“ als Häufigkeiten der von den Schülern gezogenen Linien diagrammatisch in Farbe dargestellt. Die Abbildung erlaubt einen unmittelbaren Vergleich der beiden Begriffe:

Abb. 4: Vergleich Natur/Evolution

 

Auf den ersten Blick ist wieder eine eine assoziative Nähe der beiden Begriffe zueinander zu erkennen, indem zum Beispiel die Assoziation „Evolution“ bei Natur (rote Kurve) und umgekehrt „Natur“ bei Evolution (blaue Kurve) eine herausragende Spitze hat. Die Häufigkeit ist hier gegenüber den Freien Assoziationen drastisch erhöht. Ferner sind bei beiden Begriffen auch auffallend hohe Werte bei „Tod“ und „Umwelt“ festzustellen.

Andererseits finden wir, wie sachlich zu erwarten war und wie schon bei den Freien Assoziationen zum Ausdruck kam, spezifische Unterschiede: besondere Spitzen tauchen bei Evolution in Richtung „Geschichte“, „Zeit“, „Zufall“ auf, was nahe liegt, bei Natur dagegen in Richtung „Leben“, „Ordnung“, „Realität“, „Erdteil“.

Die von den Schülern durch ihre Linienziehungen vollzogenen Zuordnungen zeigen, dass bei Vorgabe möglicher Assoziationen das Gehirn angeregt wird, nach dem Klettenmodell (Abb. 2) solche „Häkchen und Ösen“ auszuwählen, die dem „logischen Kern“ schon näher kommen als dies bei den Freien Assoziationen ohne weitere Vorgaben (Tab. 1 und 2) der Fall war. Das Anbieten solcher möglicher Verknüpfungen hilft sozusagen dem sachlogischen Gedächtnis „auf die Sprünge“.

4.1.3.  Definitionen

Im Folgenden werden zunächst zur Veranschaulichung für beide Begriffe je zwei Schüler-Beispiele vorgestellt, – ein zutreffendes und ein nicht zutreffendes. Dazu wird zum Vergleich die „Standard-Definition“ angegeben, die wir als Maß für die Beurteilung der Schüler-Definitionen verwendet haben:

Natur

Standard-Definition:  Natur ist alles, was aus sich selbst heraus entstanden ist, ohne Zutun des Menschen.       

Schüler-Definitionen:
Zutreffend: „Natur sind die Dinge, die in unserer Welt entstehen ohne menschliches Zutun“.

Nicht zutreffend: „− wenn nicht in sie eingegriffen wird, ein ruhiger und schöner Ort. Tiere können hier ruhig leben und Menschen können entspannen“.
(Romantischer Naturbegriff, – der „Traum von Natur“, aber sachlich falsch, da zur Natur auch stets Gefahr, Tod und ein Kampf ums Dasein gehört, also „Ruhe und Entspannung“ nur Sonderfälle sind). 

 

Evolution

Standard-Definition (umfassendere naturwissenschaftliche Sicht):   Evolution ist die Entstehung und Entwicklung des Kosmos kausal aus sich selbst heraus.

Schüler-Definitionen:
Zutreffend: „Evolution ist die Weiterentwicklung von Lebewesen, Natur und Technik.“
(Hier wird auch Technik mit in den Begriff einbezogen, die ja  auch zum „Kosmos“ dazugehört).

Nicht zutreffend: „Evolution ist die Veränderung der Lebewesen im Laufe der Zeit, um sich besser anzupassen.“
(Eine finale Definition „um zu“, die der kausalen Standard-Definition nicht entspricht).

In Tab. 3 werden zunächst einmal ganz verschiedene Schülerdefinitionen zu „Natur“ wiedergegeben, damit sich die Leser überhaupt mal ein Bild von der hohen Vielfalt der Schüleräußerungen machen können. Die Definitionen werden in der Tabelle sowohl in 3 inhaltliche Kategorien als auch in 3 Stufen gedanklicher Präzision eingeteilt: un = unbelebte Natur, bn = belebte Natur, mn = menschbezogene Natur (x bzw. +x bedeutet: der Mensch als Mittelpunkt und Nutzer der Natur; −x bedeutet: der Mensch wird explizit ausgeklammert).

Die gedankliche Präzision wird durch eine dreistufige „Bewertungszahl“ BZ angegeben: 1 = falsch (entspricht nicht der Standard-Definition); 2 = mittelmäßig (entspricht nur teilweise der Standard-Definition); 3 = gut (entspricht voll der Standard-Definition).

Da in Deutschland bei den Definitionen nicht nur interessante Geschlechtsunterschiede Jungen/Mädchen auftraten, sondern auch geographische Unterschiede Nord/Süd, ist die Tabelle viergeteilt in ♀N, ♂N, ♀S und ♂S.

Tab. 3: Veranschaulichung der Vielfalt von Definitionen zu „Natur“.   Natur ist . . .  

   ♀ Nord  n = 5 un bn mn BZ
die unberührte Umwelt um uns herum und Lebensraum für viele Lebewesen. x x x 3
ein unberührter Ort und Lebensraum für Tiere. x x −x 2
die Welt, in der wir leben; sie verändert sich ständig und wir können sie nutzen. x x x 2
die Umwelt, die vom Menschen nicht oder nur zum Teil genutzt wird. Sie ist lebenswichtig für alle Lebewesen der Erde. x −x 3
wenn man die Umwelt unverändert und unberührt von Menschen betrachten kann x −x 2
Bilanz ♀ N:                                  BZ:          Stufe 3: 2x  = 40 %            Stufe 2:  3x  = 60 %

Stufe 1:  0x  = 0 %

4x =

80%

4x=

80%

2x =40%

3−x

= 60%

    ♂ Nord  n = 11        
das, was um uns herum ist und, wo wir eigentlich am meisten drauf achten sollten, da es  nicht nur unsere Umgebung, sondern auch unser Lebensraum ist. x x x 2
alles, was uns an Leben umgibt, d.h. Menschen, Pflanzen sowie die Tiere. x x 2
alle, was ein eigenes Bewusstsein hat oder seiner selbst bewusst ist, lebt. x x 1
wenn nicht in sie eingegriffen wird, ein ruhiger und schöner Ort. Tiere können hier ruhig leben und Menschen können entspannen. x x x 1
schöne Umgebung, die es immer weniger gibt, da viele schlechten Umgang mit ihr haben x x 1
ein Überbegriff für die Pflanzen u. Tierwelt, auf die der Mensch noch keinen Einfluss hat. x −x 1
ein Unterbegriff der Vielfältigkeit des Lebens auf der Erde, von Mensch, Tier, Pflanzen und allen Dingen die wir zum Leben benötigen oder nutzen. x x 1
der Raum, in dem Tiere leben, da sie auch für uns Menschen lebenswichtig ist, sollte man sie nicht zu sehr abholzen etc. x x 1
unsere Umwelt und gibt an, was sich um unser modernes Leben befindet. x 1
der Begriff, welcher die Umwelt und den natürlichen Bereich der Erde beschreibt. x 3
ein wundervoller Ort, wenn er nicht von dem Mensch beeinflusst wird, und es ist ein  ewiger Kampf ums Überleben. x −x 1
Bilanz ♂ N:                        BZ:        Stufe 3: 1x  = 9 %          Stufe 2:  2x  = 18 %

Stufe 1: 8x = 73 %

4x =

36 %

8x =

73%

8x = 73%

2−x =18%

     ♀ Süd  n = 9        
die Dinge, die in unserer Welt entstehen ohne menschliches Zutun. x −x 3
alles, was auf der Erde an Lebewesen ist. x 1
einerseits die Natur draußen, mit den Bäumen & Luft, andererseits ist es auch die Natur des Menschen zu leben & zu sterben. x x x 3
unser Ursprung, ein strukturierter Aufbau des Leben auf dieser Welt, bestehend aus vielen Bestandteilen x 2
Freiheit, man sieht das Leben der Tiere und der Pflanzen. x x 2
sind die Pflanzen, Tiere u. Gewässer, die ohne Eingriffe des Menschen entstanden sind. x x −x 3
eine noch meist unberührte Landschaft, wo es kaum Zivilisation gibt. x −x 2
ein  vom Menschen unberührter Platz, an dem Pflanzen und Tiere natürlich leben können x −x 3
alles, was selbstständig auf der Erde wächst und lebt. x 2
Bilanz ♀ S:                         BZ:        Stufe 3: 4x = 44 %            Stufe2: 4x = 44 %

Stufe 1: 1x = 11 %

4x =

44 %

7x =

78%

2 x=

22 %

4–x =44%

    ♂ Süd  n = 13        
alles auf der Erde, was nicht von Menschen geschaffen/verändert wurde. x −x 3
das unberührte Zusammenspiel im Kreislauf zwischen Lebewesen. x 2
alles lebendige und pflanzliche was existiert. x 1
eine Umgebung, welche fast nur durch ihre eigenständige Entwicklung und nicht durch  den Menschen geprägt ist. x −x 3
überall um uns herum, es gibt sie schon länger als die Menschheit, aber wird durch diese  trotzdem zerstört. x x 2
Das, was uns umgibt (nicht Dinge, die wir Menschen herstellen) und so nur auf der Erde ist x −x 3
Die Umwelt, in der das Leben lebt, in der Katastrophen passieren und in der welche sterben x 1
die freie Landschaft abseits der menschlichen Zivilisation. x −x 2
der Planet und alles, was darauf lebt. x x 2
alles Leben, jede Pflanze, jedes Tier, das auf unserem und jedem anderen Planeten je exestiert hat, exestiert oder exestieren wird. x 2
was den Menschen und alle anderen Lebewesen am Leben erhält. x x 2
der Oberbegriff für alles, was ohne Eingriff des Menschen entstanden ist. x −x 3
für mich alles nicht vom Menschen geschaffene, wie Pflanzen und Tiere. x x −x 3
Bilanz ♂ S:                            BZ:    Stufe 3: 5x = 38 %                Stufe2: 6x = 46 %

Stufe 1:  2x = 15 %

8x =

62 %

7x =

54%

2 x= 15%

6−x =46%

Um einen leichteren Überblick zu bekommen, wird In der folgenden Tab. 4 die inhaltliche und Qualitäts-Analyse der obigen Definitionen zu „Natur“ gerafft wiedergegeben. Dabei werden auffallende Werte durch Farbe hervorgehoben:

Tab. 4:  Gesamtbilanz der Definitionen zu „Natur“
(un = unbelebte Natur; bn = belebte Natur; mn = menschbezogene Natur; BZ = Bewertungszahl):

BZ un bn mn
Gesamtbilanz ♂

n = 24

Stufe 3: 6x = 25 %

Stufe 2: 9x = 38 %

Stufe 1:  9x = 38 %

12x =50 % 15x = 63% 10 +x  = 42 %

8 −x  = 33 %

Gesamtbilanz  ♀

n = 14

Stufe 3: 7x = 50 %

Stufe 2: 6x = 43 %

Stufe 1:  1x = 7 %

8x = 57 % 11 = 79 % 4 +x = 29 %

7−x  = 50 %

Gesamtbilanz  N

n = 16

Stufe 3: 3x = 19 %

Stufe2: 6x = 38 %

Stufe 1:  7x = 44 %

8x = 50 % 12 = 75 % 10 +x  = 63 %

5 –x = 31 %

Gesamtbilanz  S

n = 22

Stufe 3: 10x = 45 %

Stufe2: 9x = 41 %

Stufe 1:  3x = 14 %

12x =55 % 14 = 64 % 4 +x   = 18 %

10 –x = 45 %

Gesamtbilanz alle

n = 38

Stufe 3: 13 x = 34 %

Stufe2: 15 x = 39 %

Stufe 1: 10 x = 26 %

20x = 53% 26x = 68% 14 +x = 37 %

15 –x = 39 %

Ergebnis zu „Natur“:

1.) In der Gesamtpopulation ist der Anteil der Definitions-Elemente zur belebten Natur (bn) mit 68 % deutlich größer als der zur unbelebten (un) mit 53 %.

Der Unterschied bn-un ist in Norddeutschland mit 25 % größer als der in Süddeutschland mit 9 %, allerdings zwischen Mädchen und Jungen insgesamt etwa gleich groß.

Der kleine, aber deutliche Unterschied zu den Freien Assoziationen bzgl. der belebten Natur (68 % gegenüber 52 %) zeigt, dass sich beim bewussten Reflektieren der Akzent offenbar in Richtung „Leben“ verschiebt. Da auch der Anteil zur menschbezogenen Natur (+ x und −x zusammen) mit 76 % erheblich größer ist als bei den Freien Assoziationen (dort nur 23 %), liegt die Annahme nahe, dass sich beim bewussten, gezielten Reflektieren der Mensch selbst mehr in den Mittelpunkt schiebt.

Diese Gesamtbilanz verdeckt allerdings durch die Mittelwertbildung der Geschlechter sowie von Nord/Süd die tatsächlich vorhandenen Unterschiede: mn+/mn- bei Jungen 42/33, bei Mädchen 29/50; Nord/Süd sogar umgekehrt: N 63/31,  S 18/45 %.

2.) Die Präzision der Definitionen war zwar zu einem Drittel (34 %) gut, mehr aber (39 %) mittelmäßig und sogar mit 26 % schlecht, insgesamt also mit 65 % unzureichend. Das lässt schließen, dass die Fertigkeit des Definierens selbst im Unterricht nicht genug geübt wurde.

Tab. 5:  Gesamtbilanz der Definitionen zu „Evolution“

      ee  =  Evolution nicht wissenschaftlich, sondern ganz allgemein als „Entwicklung“ verstanden;

       el  =  nach heute üblicher Art insbesondere auf die Evolution des Lebens angewandt (Mutation + Selektion);

      eh  =  deutlich auf die Evolution des Menschen (Homo) bezogen.

BZ ee el eh
Gesamtbilanz  ♂ (N + S)

n = 27

Stufe 3:  3x = 11 %

Stufe2:  17x  = 63 %

Stufe 1:  7x  = 26 %

18x = 67 % 22x = 81% 5x = 19 %
Gesamtbilanz  ♀ (N + S)

n = 18

Stufe 3:  3x = 17 %

Stufe 2:  6x = 33 %

Stufe 1:  9x = 50 %

16x = 89 %  7x = 39 % 6x = 33 %
Gesamtbilanz N  (♀ + ♂)

n = 19

Stufe 3:  0x = 0 %

Stufe 2:  11x = 58 %

Stufe 1:   8x = 42 %

16x = 84 % 8x = 42 % 5x = 26 %
Gesamtbilanz  S  (♀ + ♂)

n = 26

 Stufe 3:  6x  = 23 %    

Stufe 2: 12x =  46 %

Stufe 1:  8x = 31 %

18x = 69 % 21x = 81% 6x = 23 %
Gesamtbilanz alle

(♀ + ♂, N + S)   n = 45

Stufe3:  6x  = 13 %

Stufe 2:  23x  = 51 %

Stufe 1:  16x =  36 %

34x = 76 % 29x = 64 % 11x = 24 %

Ergebnis zu „Evolution“:

  1. ) In der Gesamtpopulation von 45 Schülern im Alter von 15/16 Jahren bewegen sich die Inhalte ihrer Definitionen von „Evolution“ zu etwa drei Vierteln (76%) noch auf der umgangssprachlichen Ebene im Sinne von „Entwicklung“ allgemein, gehen aber doch schon zu knapp zwei Dritteln (64%) auf die Evolution des Lebens im Sinne der Evolutionstheorie ein.
    Die evolutionstheoretische Sichtweise ist bei Jungen deutlich stärker als bei den Mädchen und in Süddeutschland stärker als in Norddeutschland.
  2. ) Die Evolution des Menschen dagegen kommt, ähnlich wie bei den Freien Assoziationen (Tab. 1), mit etwa nur einem Viertel der Inhalte (24%) zum Tragen. Hier liegen die Mädchen mit 33 % deutlich vor den Jungen mit 19 %, während sich Süd- und Norddeutschland mit 23/26 % nicht wesentlich unterscheiden.
  3. ) Die sachliche Präzision der Definitionen ist nur bei 13 % der Schüler gut, bei etwa der Hälfte der Schüler (51 %) mittelmäßig und sogar bei etwas mehr als einem Drittel der Schüler (36 %) schlecht, zusammen also mit 87 % deutlich unzureichend.
       Da auch die Definitionen zu „Natur“ mit 65 % mittelmäßigen + schlechten unzureichend ausgefallen waren, liegt das schlechte Ergebnis hier vermutlich nicht nur (!) an mangelndem Unterricht zum Thema „Evolution“ (s. oben), sondern doch – wie schon vermutet – an mangelnder schulischer Übung in der formalen Fertigkeit des Definierens.
4.1.4  Verbifizierungen

Zu Natur (n = 41): Einige Schüler gingen einfach nur vom Worte „Natur“ aus und versuchten, dieses rein formal zu verbifizieren (unter den 58 genannten Verben 6x „naturaliseren“ , 5x „natürlich sein“, 4x „naturieren“, 2x „vernatürlichen“).

Die Mehrzahl der Schüler allerdings konzentrierte sich inhaltlich auf die lebendige Natur und gab Lebensprozesse an (18x „leben/dig“, 10x „wachsen“, 2x „weiter/entwickeln“, 2x „ge-deihen“, 2x „fortpflanzen“, 2x „beleben“, 1x „sprießen“, 1x „evolutionieren“). Nur wenige Schüler (insgesamt 8x) beschrieben allgemeine Prozesse, die nicht an Leben gebunden sind (6x „entstehen“, 2x „verändern“).

Schließlich gaben auch einige Schüler (immerhin 10x) Reaktionen des Menschen auf die Natur an, beschrieben aber – entgegen der Aufgabenstellung – ihn selbst und nicht die Natur (z.B. 3x „genie-ßen“,3x „bewundern“,3x „schützen“, auch 1x „jagen“).

Zu Evolution (n = 40): Auch hier versuchten viele Schüler (34 mal unter den 71 genannten Verben), einfach nur das Wort „Evolution“ formal in ein Verb zu verwandeln, ohne zu sagen, was inhaltlich als Prozess darin steckt (zum Beispiel 30x „evolutionieren“, 2x „evolutieren“, 2x „evolvieren“).

Inhaltlich bezogen sich die Verbifizierungen interessanterweise – entgegen den Ergebnissen der freien Assoziationen, jedoch in Einklang mit den Definitionen – überwiegend (ganze 60 unter den 71 Nennungen!) auf die nicht-lebendige Evolution (z.B. 32x „(weiter)-entwi-ckeln“, 18x „verändern“, 6x „entstehen“, 2x „weiterbilden“, 2x „umwandeln“).

Nur 3x wurde „leben“ selbst erwähnt, aber auch 11x „anpassen“, 7x „verbessern“ und 2x „erfinden“, wobei die letzteren vielleicht auf eine finale Sichtweise von Evolution hinweisen, die gegen die naturwissenschaftlich kausale Sichtweise stehen würde.

Schließlich wurden auch Prozesse genannt, die den Menschen als Betrachter betreffen und nicht die Evolution selbst, zum Beispiel 2x „entdecken“.

Das Ergebnis der Verbifizierungen offenbart zunächst, dass ein solcher Test ähnliche Denkstrukturen bei den Testpersonen offenbart wie der Definitionstest. Allerdings geht er, da er ein Nachdenken über Verbalisierung verlangt, mehr auf das Wort, den Namen eines Begriffes ein und prüft die am „Klettenmodell“ (Abb. 2) aufgezeigte Verbindung zwischen Wort und Inhalt, also sozusagen den „Klettenstiel“. Die empirische Bedeutung dieses Tests besteht dann darin, ein kognitiver Zusatztest zum Definitionstest zu sein. Die Testpersonen werden hier – im Unterschied zu den Assoziationstests, aber ganz ähnlich wie beim Definitionstest – zum Nachdenken gezwungen, müssen sich mit dem logischen Kern des Begriffes auseinandersetzen und kommen dann zu einem „Denkkonstrukt“, das sich von der assoziativen Hülle des Begriffes oft erheblich unterscheidet.

Das Ergebnis bestätigt aber noch einmal die schon an den Assoziationen und Definitionen gemachte Beobachtung, dass „Natur“ und „Evolution“ in den Köpfen der Schüler nicht so nahe beieinander stehen, wie sie es von ihrer Konzeption her verdienen. Zum Beispiel ist in den Verbifizierungen das Verhältnis lebend/nicht-lebend bei „Natur“ (38 : 8) stark auf der lebendigen Seite, bei „Evolution“ dagegen (23 : 60) mehr auf der formalen, unbelebten Seite, obwohl Evolution ja in der Umgangssprache vor allem als Phänomen der lebendigen Natur verstanden wird. Der Test unterstreicht also das Ergebnis der freien Definitionen.

4.1.5 Sinneswahrnehmungen (Sinnlichkeitstest)

Aufgabe 6 der Untersuchung verlief so, dass die Schüler einmal die Augen schließen, sich auf den von ihnen bearbeiteten Begriff konzentrieren und dann in den 5 auf einem Zettel vorgegebenen Sinneskategorien aufschreiben sollten, was sie sahen, hörten, rochen, schmeckten und fühlten/tasteten.

Tab. 6 zeigt das Ergebnis. Die Tabelle ist so gewählt, dass die Begriffe „Natur“ und „Evolution“ übereinander stehen und dadurch vergleichbar sind. Übereinstimmende Sinnesangaben sind dabei zur Verdeutlichung fett hervorgehoben.

In der untersten Zeile eines Begriffes sind jeweils die durchschnittliche Zahl der Sinnesangaben pro Person angegeben („Sinnlichkeits-Index“ SI), und zwar nach der darüber angegebenen Reihenfolge:  ♀N (Mädchen Nord) – ♂N (Jungen Nord) − ♀S (Mädchen Süd) – ♂S (Jungen Süd).

Spitzen-Werte (SI > 2) sind jeweils grün und bedenklich geringe Werte (SI < 1) rot gekennzeichnet. Das erlaubt ein schnelles Erfassen der jeweiligen Stärke der Population auf diesem Sinneskanal.

Tab. 6: Sinneseindrücke der deutschen Jugendlichen zu „Natur“ und „Evolution“.

  Sehen Hören Riechen Schmecken Tasten/Spüren
 

 

 

 

Natur

Wald      Bäume     Tiere Pflanzen    Rehe    Bach  wechseln    Landschaft   Himmel  Vögel  Niagara  Wasser(fall)    Blumen  Berg(landschaft)

Sonne(nschein)

Farben: grün  braun  rot    gelb     blau    lila   bunt

Wind   Blätter  Bach  Bäume   Rauschen    Fluss  Wasser Kokos Vögel/stimmen    Plätschern Rascheln     Grillen     Schritte (eines scheuen Tieres)        Wildschweingrunzen frische Luft Wind Kräuter rein Moos Blumen Nadelholz Tannenzapfen

Holz   Harz   Gras

gemähtes Gras

frisches Laub

Vogelscheiße  nasse Erde

Meer     Wasser  salzig     Früchte

Samen    Luft

Tau der Bäume dicker Nebel

Wind/hauch   Gras  Sonne Wasser Blatt Tau  Samen u.Pollen   Haut  Zweige  leichtes Kribbeln Wärme   Feuchtigkeit  Schüttelfrost
Gefühlsqualität    frei weich    schön   warm gut   kühl   kitzelt   an-genehm
♀N – ♂N  − ♀S  – ♂S

2,0  – 2,7 −  2,7 – 1,0

♀N  – ♂N− ♀S – ♂S

2,0  –  2,4  −1,1 -0,8

♀N- ♂N − ♀S- ♂S

1,6  -1,3  −1,7 -0,3

♀N -♂N −♀S – ♂S

0,4 -0,5 − 0,2 -0,1

♀N  -♂N − ♀S – ♂S

1,0 – 1,5 − 1,7 – 0,9

 

 

 

Evolu-

tion

Zeitstrahl Urwald  Affen  Menschen Weltall  Ster-ne  Wüste  Dinosaurier   Echsen   See   Pflanzen        Entwicklung  Wasser→ Land

Farben: grün  blau  grau     braun   schwarz    weiß       dunkel     wird hell

bedrohlich, aber auch sanft     Wald  Wind  Vogelgezwitscher    Tierschreie    Rufe von Affen  Klänge der Natur    Wort „Darwin“    Ex-plosion v. Bomben

Knochen knacken

bitter  erdig

Wald      Feuer    Modergeruch   schwüleLuft

frische Luft    Entwicklung unse-rer Nase

Entwicklung unserer Zunge Kribbeln  verkramp-fen    klamme Erde  Farn   Wut  pieksig  Wahrnehmung  Trauer    Gänsehaut  greifen    Bewusst-sein       Entwicklung unserer Nerven
Gefühlsqualität:   toll schön     frisch     kalt

Wärme     schlecht

2,12,72,3 – 1,6 1,2 – 0,7 – 1,5 – 0,8 0,1 – 0,4 –1,0 – 0,2 0 – 0  − 0 – 0,1 0,8 – 0,4 – 1,0 – 0,4
Zur besseren Übersicht des Sinnlichkeitsprofils und zur Charakterisierung seiner emotionalen Komponenten sind in Tab. 7 der Sinnlichkeits-Index SI (= Zahl der Sinneseindrücke/Zahl der Schüler), der Affektiv-Index AI (= Summe aller emotionalen Tönungen + und -) sowie der Positivitäts-Quotient PQ (= Quotient +-Summe/− -Summe) angegeben.

Die auffallend hohen SI-Werte (SI > 2) sind wieder grün, die niedrigen (SI < 1) wieder rot hervorgehoben.

Tab. 7: Quantitatives Ergebnis der Sinnesangaben zu „Natur“ und „Evolution“

S = Sehen, H = Hören, R = Riechen, Sm = Schmecken, Sp = Spüren/Tasten

  Schüler Nord Schülerinnen Nord
  S H R Sm Sp AI PQ S H R Sm Sp AI PQ
Natur 2,8 2,6 1,5 0,5 1,8 19,7 9,4 2,0 2,2 2,0 0,4 1,2 18,0 7,2
Summe 9,2 Summe 7,8
Evolu-tion 2,4 0,8 0,3 0 0,4 11,0 1,9 1,9 1,3 0,1 0 0,7 10,9 2,3
Summe 3,9 Summe 4,0
  Schüler Süd Schülerinnen Süd
  S H R Sm Sp AI PQ S H R Sm Sp AI PQ
Natur 1,64 1,0 0,45 0,09 1,18 15,0 4,6 2,82 1,0 1,64 0,18 1,55 22,5 14,0
Summe 4,36 Summe 7,19
Evolu-tion 1,76 1,12 0,18 0,06 0,24 18,0 14,0 2,75 1,75 1,25 0 1,0 24,5 3,5
Summe 3,36 Summe 6,75

 

Ergebnis des Sinnestests:

  1. Die in Tab. 6 gezeigten Unterschiede bzgl. der 5 Sinneskanäle werden deutlich: Der Seh-Sinn liegt an der Spitze und der Riech- und Schmecksinn liegen am unteren Ende.
  2. Die Zahl der von den Jugendlichen angegebenen sinnlichen Eindrücke ist beim Stichwort „Natur“ deutlich höher (∑SI-Werte: 28,6) als bei „Evolution“(∑SI-Werte: 18). Natur, die ja unmittelbar sinnlich erlebt wird, ist in der Vorstellung einfach „sinnlicher“ als Evolution, die ja nur aus Büchern, Vorträgen und Filmen bekannt ist.
  3. Die Angaben zu Natur sind bei den Jugendlichen Norddeutschlands zahlreicher als bei denen in Süddeutschland. Der Unterschied ist bei den Jungen sehr viel krasser als bei den Mädchen: Jungen 9,2 zu 4,36, Mädchen 7,8 zu 7,19.
  4. Der gleiche Nord/Süd-Effekt der Jungen wie bei „Natur“ ist auch beim Stichwort „Evolution“ zu beobachten: Summen 3,9 zu 3,36. Bei den Mädchen dagegen scheint der umgekehrte Effekt vorzuliegen: Summen 4,0 zu 6,75. Das heißt: die süddeutschen Mädchen sprachen sinnlich stärker auf Evolution an als die norddeutschen Mädchen.
  5. Insgesamt kann beim Vergleich der Geschlechter festgestellt werden, dass die Stärke der Sinnes-Angaben zu Natur und Evolution bei den norddeutschen Jungen und den süddeutschen Mädchen am größten ist.
  6. Die Summe AI der mit den Sinnesangaben verknüpften emotionalen Tönungen ist im Norden stärker beim Stichwort „Natur“ als beim Stichwort „Evolution“ (N♂ 19,7 : 11,  N♀ 18 : 10,9), im Süden dagegen umgekehrt stärker bei Evolution als bei Natur (S♂ 15 : 18, S♀ 22,5 : 24,5).
  7. Der PQ zeigt, dass die süddeutschen Jungen stärker positiv auf Evolution reagierten als auf Natur (14,0 zu 4,6). Alle anderen Gruppen reagierten, wie zu erwarten, viel stärker positiv auf Natur als auf Evolution (9,4 zu 1,9, 7,2 zu 2,3 und 14,0 zu 3,5). Die konkreten Angaben der süddeutschen Jungen in Aufg. 6 lassen erkennen, dass sie das Thema „Evolution“ enorm spannend fanden und daher positiv bewerteten.

 

4.2. Begriffe „ Kultur“ und „Zivilisation“

Diese beiden Begriffe werden heute so oft als gleich angesehen und auch verwechselt, dass wir wissen wollten, ob Jugendliche zwischen ihnen nicht doch einen Unterschied empfinden.

4.2.1.  Freie Assoziationen 

a) zu „Kultur“; Zahl der Schüler n = 41; Zahl der Assoziationen m = 368 (≈ 9/Schüler)

  1.      Mehrfach-Assoziationen: m = 243; Einzelassoziationen: m = 125.   Homogenitäts-Index gesamt:  HI =  1,94Tab.8:  Verteilung der Freien Assoziationen zu „Kultur“  über Kategorien
Allgemeines,

Formales

Geographie +

Historisches

Künste Soziales (inkl.

Politik, Sport, Religion)

 

 

häufige

Ass.

 

Menschen 10x,Unterschie-de/verschieden8x,Rituale 6x Alter 5x, vielfältig,Lebensart, Kultur je 4x;  Verhalten,  an-dere  je 3x; Technik, Leben, Angewohnheit, Kult ,Natur, Welt, wichtig, Standard je 2x Geschichte  14x

Länder  12x

Tradition  8x

Sehenswürtdigkei-ten  3x  Bayern, Aus-land,  Deutschland, Römer    je 2x

Kunst 16x Museum 14x

Musik 12x  Theater 10x

Tanz 6x    Oper 3x

Statuen,   Denkmäler,  Leonardo da Vinci  je2x

Religion 18x   Sitten 10x

Bräuche 9x   Sprache 8x

Essen7xFeste,Völker je 3x

Zusammenleben, Gesell-schaft,  (Schul-)system,   Feiertage, Kleidung   je 2x

63x = 16,9 % 45x = 12 % 67x = 18 % 68x = 18,2 %
Gesamtsumme der Mehrfach-Assoziationen: 243 = 66 %
 

 

 

 

 

 

 

Einzel-

Ass.

verrückt, Lebenseinstellung, Überbringungen,   abwechs-lungsreich,   Fröhlichkeit, Merkmal, kennen lernen, besonders typisch, unvorstellbar,      Entdeckungen, Identität, speziell,  geistige Nahrung, Gepflogenheiten, eigen, viele,  Wissen ,  Mutproben, immer anders, kulturell, bedeutend, Pflanzen, Wissenschaft, Lebenslinie, andere, Sachen, Verkehr, Entwicklung Zeit,   länderspezi-fisch, Erdteil, Konti-nent, Orte, Touris-mus,Wüste, Dschun-gel, Reisen, überall, Ausland, Ureinwohner, Kulturerbe, Alt-stadt, Afrika,  Kuwa, Augsburg, Stadtbe-sichtigung,Herkunft, Vergangenheit, Hei-mat,3.Reich,Regens-burg,deutsch,Urwald Schauspiel, farbenfroh, Speisen,  Gebäude,  Ar-chitektur,Galerie,Mode, Hege, Form, Kreativität, Kino, Engel(Bild),Kreide,

tate gallery,schön,Paris,

Louvre, Hennesy Haupt,

Kati Fleckstein,  Klassik,  Zeichen,  Kulturnacht,

Klamotten,  Kleidung,

Schmuck, Ketten, Sym-bole, Filme, Literatur, Kunstbilder, Musical,  Aquädukt

Regeln, Freizeit,  meine Oma, Stadt, Nation, Verbundenheit, Fußball, Sport,Volleyball,Freiheit, Erziehung,Zeitungsartikel, Feiern,   meine Mutter,  Gemeinschaft,  Glaube, Kirche,beten,Miteinander,  Integration, Pfarrer, Ethik, Glocke, Zivilisation, Hautfarbe, Rasse, Dom, Pflichten,  Sozialverhalten,

Mikas, Gesetz, Beruf, Im-migranten, Bildung, Benehmen,  Flüchtling, Re-gierung,Bundestag,Freun-de, Stämme

28x = 8,6 % 25x = 6,7 % 32x = 8,6 % 40x = 10,7 %
Gesamtsumme der Einzelassoziationen: 125 = 34 %
Spalten∑

HI

91x = 25,5 %

2,25

70x = 19 %

1,8

99x = 26,9 %

2,1

108x = 29,3 %

1,7

ges. Gesamtsumme aller Assoziationen  mges. =  368     HIges. = 1,94

Ergebnis zu „Kultur“:

In den Freien Assoziationen dieser  Schüler ist der Kulturbegriff etwa gleichrangig (Größenordnung: ein Viertel) von allgemeinen, historisch-geographischen, künstlerischen und sozialen Konnotationen geprägt. Die Übereinstimmung zwischen den Schülern ist im allgemeinen, formalen Bereich am größten (HI = 2,25), auch im künstlerischen Bereich recht hoch 2,1, aber im sozialen Bereich am geringsten 1,7. „Zivilisation“ wird nur 1 mal genannt, obwohl sie ja eng mit „Kultur“ verknüpft sein müsste.

Positive emotionale Tönungen von Assoziationen (in der obigen Tabelle nicht eigens vermerkt) sind beim Stichwort „Kultur“ sehr viel zahlreicher als negative Tönungen; der PQ ist 18,6. Das ist im Vergleich zu „Natur“ (PQ dort nur 4,3) besonders auffällig. Wenn man sich die einzelnen Assoziationen anschaut, hat man den Eindruck, dass den Schülern Kultur als „Menschenwerk“ doch viel vertrauter ist als die Natur.

Interessant ist auch die Analyse der Assoziationen nach dem Kriterium „statisch/ dynamisch“, das zuvor schon bei Natur und Evolution angewandt wurde: die Zahl der statischen Assoziationen ist etwa 3,8 mal so groß wie die der dynamischen, obwohl ja die „cultura“ im Prozess des stetigen Wandels ist. Sie wurde von diesen Jugendlichen offensichtlich als etwas Bestehendes, Dauerhaftes empfunden.

b) Freie Assoziationen zu „Zivilisation“

     Zahl der Schüler n = 41; Zahl der Assoziationen m = 304  (≈  7,4 Ass./Schüler)

Tab.9:  Verteilung der Freien Assoziationen zu  „Zivilisation“ über Kategorien

Allgemeines,

Formales

Kultur

 (inkl. Künste)

Technik Soziales (inkl.

Politik, Sport, Religion)

 

 

häufige

Ass.

 

Mensch  36x,Entwicklung, Leben  je 9x,   Natur  5x Umwelt, Ordnung    je 3x

heute,  organisiert   Luft,

Geschichte, Welt, Arbeit    je 2x

Kultur 4x,  Bildung  2x Haus/Häuser 7x

Gebäude  3x

Stadt/Städte 19x, Gemeinschaft 13x,    Bevölkerung 10x, Gesellschaft,  Bürger  je 8x, Gruppe 7x, Land 6x,   Dorf, Volk, sozial  je 5x,  Straßen, Rechte,  Infrastruktur je 4x, Polizei, zivilisiert je 3x, Zivilcourage,  Einwohner,   Demokratie,  Gemeinde,  Anpassung, Familien, Gesetze, Staat, Zusammenleben, Gleichberechtigung, Kriege     je 2x
77x = 25,3 % 6x = 2 % 10x = 3,3 % 126x = 41,4 %
Gesamtsumme der Mehrfach-Assoziationen:  219 =  %
 

 

 

 

Einzel-

Ass.

Anzahl,  belebt,  Drogen,

Frei/heit,früher,Fortschritt, Geschichte,grau ,Gebiet/e,  Gefallsucht,  Ort,   Plätze,

Stress,Probleme,Ursprung, Umzug,Verhalten,viel, weit  westl. Welt,  Zahlen,  Zeit,   Geschäfte, modern

Benehmen,  Erziehung,

feste Unterkunft,   ge-bildet, Handel,  hübsch, menschl. Verhalten,   Sprache, Urbanisierung

Vernunft,wild,Zivilcou-rage,Globalisierung,Ge-rechtigkeit,Krankenhäu-ser,  schlechte Lebens-bedingungen,  Pflege

Autos,Bauten,Groß-stadt,   Handynetz, lauter Lärm,   Zug, Strom, Technik,

U-Bahn, Verkehr, fließendes Wasser, Straßenbau

Asylanten,Ausgrenzung,Aliens, Akzeptanz, Anbindung, Bewohner,Demokratie,Europa, Einzelne, Familien, Freunde, Invasion, Kolonien, Kinder, Lebensraum, Land-Erschließung, Meinungen,  Massen,Nation,Mobbing, Normen, Organisationen , Politik, Polizei,  Population, Rechtssystem,  Rechte, Regeln, Siedler, Sozialwesen, Unterdrückung, untereinander
24x = 7,9 % 17x = 5,6 % 12x = 3,9 % 32x = 10,5 %
Gesamtsumme der Einzelassoziationen: 85 =  %
Spalten∑

HI

101x = 33,2 %

3,2

23x = 7,6 %

0,35

22x = 7,2 %

0,83

158x = 52 %

3,9

ges. Gesamtsumme aller Assoziationen  mges. =  304     HIges. = 2,6


Ergebnis zu „Zivilisation“:

  1. der Begriff „Zivilisation“ wird rein assoziativ kaum mit „Kultur“ verknüpft (nur 7,6 %) und auch wenig mit „Technik“ (7,2 %), was aber dringend nötig wäre, da ja Zivilisation einerseits Teil der Kultur und andererseits entscheidend durch Technik geprägt ist.

Dass zum Beispiel „Autos“ und „Handynetz“ nur einmal genannt werden, muss als Skandal bezeichnet werden. Es zeigt, dass heutige Jugendliche zwar ständig mit Technik leben, sich aber offenbar nicht bewusst sind, was sie da tun.

  1. Die meisten Assoziationen traten im sozialen Bereich auf (etwa die Hälfte, 52 %), so wie ja auch offensichtlich viele Schüler„Zivilisation“ vom lateinischen „civis“ (= Bürger) ableiten (s. Definitionen). Es ist erstaunlich, dass die soziale Kategorie bei „Kultur“(die ja eine soziale Errungenschaft ist!) viel weniger belegt ist (nur 29,3 %, s.o.).
  2. Etwa ein Drittel der Assoziationen sind affektiv getönt (38,2 %; ähnlich wie bei „Kultur“: 37 %). Positive Tönungen überwiegen aber die negativen  (PQ = 4,3) deutlich weniger als bei „Kultur“ (PQ dort 18,6), sicherlich wegen des negativen Bildes, das in Medien über die heutige Zivilisation entworfen wird (s.o. „Stress“. „Probleme“ usw.).
  3.  Statische Assoziationen (das, was „ist“) überwiegen zwar immer noch die dynamischen (das, was „wird“) um das 1,6-fache, allerdings viel weniger als bei „Kultur“ (dort 3,8-fach). Zivilisation wird demnach stärker – zu Recht – in Bewegung und Entwicklung gesehen, Kultur dagegen stärker als bleibend.

4.2.2  Gebundene Assoziationen

Abb. 5: Vergleich Kultur/Zivilisation

Wie Abb. 5 zeigt, werden die im Alltagsbetrieb oft gleich gesetzten Begriffe „Kultur“ und „Zivilisation“ von diesen Schülern nicht nur im Freien Assoziationstest deutlich unterschieden (Tab. 8 und 9), sondern auch im gebundenen Test. Die rote und die blaue Kurve sind auffallend verschieden, auch wenn die Querverweise Kultur-Zivilisation (Spitze oben links in blauer Kurve) und Zivilisation-Kultur (Spitze rechts in roter Kurve) nicht zu übersehen sind.

Besonders auffallend sind die Unterschiede bei Erdteil, Geschichte, Kunst, Symbol, Variabilität, Zeit (blaue Kurve: Kultur) sowie Ordnung, Struktur, Technik, Umwelt und auch Chaos (rote Kurve: Zivilisation).

Diese Unterschiede in den gebundenen Assoziationen weisen weiterhin, so wie auch schon die Freien Assoziationen, auf einen unübersehbaren kognitiven Unterschied der beiden Begriffe hin. Darüber hinaus geben sie aber auch schon einen Hinweis auf einen affektiven Unterschied, der dann in den anderen Testaufgaben deutlicher zum Ausdruck kommt (s. Definitions- und Sinnlichkeitstest).

4.2.3  Definitionstest

Im Folgenden werden zunächst wieder die „Standard-Definitionen“ angegeben, die wir als Maß zur Beurteilung der Schüler-Definitionen verwendet haben. Sodann werden jeweils konkrete Schüler-Beispiele vorgestellt, − zutreffende und nicht zutreffende.

Kultur

Standard-Definition: Kultur ist alles, was vom Menschen geschaffen wurde und über längere Zeit überliefert ist  (Tradition, Geschichte).

Schüler-Definitionen:   

Zutreffend: „Kultur ist eine Sammlung verschiedener Werte, Verhaltensweisen aus Religion, Kunst einer Gesellschaft, die sich im Laufe der Geschichte entwickelt hat.“ (Eine mehr statische Definition: Kultur als fester Wert).

„Kultur ist die Weise, wie Menschen ihr Leben führen, wie Gebäude gestaltet sind und welche Musik gespielt wird. Durch die Geschichte des Landes entsteht die Kultur.“ (Eine mehr dynamische Definition: Kultur als Prozess).

Nicht zutreffend: „Leben, da man durch Kultur sein Leben erst richtig leben kann“. (Eine nicht ausreichende Definition, da nicht gesagt wird, was Kultur „ist“).

 

Zivilisation

Standard-Definition: Zivilisation ist der Anteil der menschlichen Kultur, der durch Technik ermöglicht wurde und durch Technik weiter gestaltet wird.

Schüler-Definitionen:

Zutreffend:    „Zivilisation ist ein belebter Ort mit fortgeschrittener Technik und hat einen zentralen Punkt, der viele Menschen anzieht und wo viele Menschen leben.“

Nicht zutreffend: „Zivilisation ist das geordnete Zusammenleben von Menschen od. Gruppen an einem Ort mit ausreichender Versorgung mit materiellen Dingen.“ (Diese Definition trifft eher auf den Begriff „Kultur“ zu, die es ja schon immer, lange vor der modernen „Zivilisation“, gab. Sie entbehrt vor allem eines Hinweises auf moderne Technik.)

In den folgenden Tabellen wird eine Analyse der Schülerdefinitionen nach bestimmten Kategorien sowie nach Geschlecht und nach Nord-/Süddeutschland vorgenommen:

Tab. 10:  Gesamtbilanz der Definitionen zu „Kultur“

BZ = Bewertungszahl. Häufigkeit der guten (Stufe 3), mittelguten (Stufe2) und unzureichenden Definitionen (Stufe 1)

 a =  menschlicher Ausdruck: Kunst (z.B. Musik; Sprache, Kleidung, Architektur, Gartengestaltung usw.)

 rReflexion: Denken, Wissenschaft, Philosophie, Theologie usw.;

s =  Kultur statisch: Geschichte, Tradition, Sitten u. Gebräuche;  d = Kultur dynamisch: Entwicklung, Zukunft

a r s/d
Gesamtbilanz ♀  n = 20 BZ:    Stufe 3: 6x = 30 %

Stufe 2: 11x = 55 %

Stufe 1:  3x = 15 %

16x =

80 %

3x =

15 %

24s = 120%

16d = 80 %

Gesamtbilanz ♂  n = 20 BZ:    Stufe3: 3x = 15 %

Stufe 2: 14x = 70  %

Stufe1:  3x = 15 %

14x =

70  %

7x =

35 %

31s = 155%

7d = 35 %

Gesamtbilanz N   n = 14 BZ:    Stufe 3: 5x = 36 %

Stufe2: 9x = 64 %

Stufe 1:  0x = 0 %

14x =

100%

4x =

29 %

15s = 107%

12d = 86 %

Gesamtbilanz S   n = 26 BZ:    Stufe 3: 4x = 15 %

Stufe 2: 16x = 62 %

Stufe 1:  6x = 23 %

16x =

62 %

6x =

23%

40s = 154%

11d = 42 %

Gesamtbilanz:  n = 40

(♀ + ♂. N + S)

BZ:    Stufe 3: 9x = 23 %

Stufe 2: 25x = 63 %

Stufe 1:  6x = 15 %

30x =

75 %

10x =

25 %

55s = 138 %

23d = 58 %

Ergebnis des Definitionstests zu „Kultur“:

Die Qualität der Definitionen zu „Kultur“(BZ) war insgesamt bei Mädchen besser als bei Jungen und im Norden Deutschlands besser als im Süden. Das Maximum lag aber überall – wie statistisch die Regel – jeweils in der Mitte, d.h. mit einer Häufigkeit von 55-70 % auf der mittleren Stufe 2.

Kultur als menschlicher Ausdruck in Musik, Sprache, Kleidung usw. (a) überragte mit 75% der Definitionen bei weitem die reflektierte Kultur (r) als Wissenschaft, Theorie usw. (25 %), wobei dieser Unterschied wieder besonders krass bei den Mädchen (80 : 15) und den norddeutschen Schülern (100 : 29) zutage trat. Im Gesamtdurchschnitt der Definitionen (untere Zeile der Tabelle) waren die a-Angaben etwa dreimal so häufig wie die r-Angaben (75 : 25).

Dagegen war aber die statische Auffassung von Kultur – Kultur als etwas Festes, Gegebenes, in Traditionen Verankertes (s) – bei den Jungen stärker vertreten als bei den Mädchen (155 : 120) und in Süddeutschland häufiger als in Norddeutschland (154 : 107).

Umgekehrt dominierte die dynamische Auffassung von Kultur (Kultur als laufender Prozess) deutlich bei den Mädchen (80 : 35) und in Norddeutschland (86 : 42).

Diese Auffassung verdient besondere Beachtung, da es ja der schöpferische Impuls ist, der Kultur überhaupt erst schafft, dann am Laufen hält und immerzu vor Erstarrung bewahrt. Vergleiche hierzu den Verbifikationstest (Aufg.5), in dem die Dynamik des Kulturbegriffs direkt abgefragt wird, wie auch die Etymologie des Wortes (cultura: Partizip Futur von colere = bebauen, pflegen, also cultura = die „noch zu Bebauende, noch zu Pflegende“).

Tab. 11:  Gesamtbilanz der Definitionen zu „Zivilisation“

K  =  kultiviertes („zivilisiertes“) Zusammenleben (weitgehende Gleichsetzung mit Kultur);

T  =  deutlicher Bezug zu Technik; Technik als Motor der Zivilisation

d+ =  Dynamik der Z. positiv gesehen („Fortschritt“);   d− = Dynamik der Z. negativ gesehen („Bedrohung“).

BZ K T d+/d- 
Gesamtbilanz ♀   n = 22 Stufe 3: 3x = 14 %

Stufe 2: 11x = 50 %

Stufe 1:  8x = 36 %

39x =

177%

5x =

23%

20x d+ = 91 %

0x d- =  0 %

 Gesamtbilanz ♂  n = 19 Stufe 3: 5x = 26 %

Stufe 2: 10x = 53 %

Stufe 1:  4x = 21 %

28x =

147%

6x =

32%

20x d+ =105 %

4x d-  = 21 %

Gesamtbilanz N   n = 16 Stufe 3: 3x = 19 %

Stufe 2: 11x = 69 %

Stufe 1:  2x = 13 %

26x =

163%

5x =

31%

16x d+ =100%

2x d- = 13 %

Gesamtbilanz S   n = 25 Stufe 3: 5x = 20 %

Stufe 2: 10x = 40 %

Stufe 1:  10x = 40 %

41x =

164%

6x =

24%

24x d+ = 96 %

2d-= 8%

 Gesamtbilanz   n = 41

♀ + ♂,  N + S

Stufe 3: 8x = 20 %

Stufe 2: 21x = 51 %

Stufe 1:  12x = 29 %

67x=

163%

11x=

27%

40x d+ = 98 %

4d- = 10%

Ergebnis des Definitionstests zu „Zivilisation“:

Die Qualität der Definitionen war hier – umgekehrt wie bei „Kultur“ – bei den Jungen besser als bei den Mädchen, dagegen wieder, wie bei „Kultur“, im Norden Deutschlands besser als im Süden.

In der Auffassung von Zivilisation als kultiviertem Zusammenleben der Menschen (K), also als „Kultur“, überragten die Mädchen wieder mit 177 % die Jungen (147 %), während die nord- und süddeutschen Schüler mit etwa 163 % auf gleicher Höhe lagen.

Bzgl. des Anteils der Technik an der Zivilisation lagen die Jungen wieder höher als die Mädchen (32 : 23) und die norddeutschen Schüler höher als die süddeutschen (31 : 24). Insgesamt ist aber der hier festgestellte Anteil von nur 27 % Technik-Bezügen entschieden zu gering, wenn man den überragenden Einfluss bedenkt, den Technik auf die Entwicklung der Zivilisation hatte und weiterhin hat.

Es war ja auch schon bei den Freien Assoziationen auffallend, dass zum Beispiel das Handy, das heute in aller Munde, und vor allem in aller Hände ist, unter 304 Assoziationen nur 1 mal vorkam (Tab. 8, Einzelassoziationen, Spalte Technik: „Handynetz“).

Auffallend ist noch die sehr positive Bewertung der Zivilisation durch die hier befragten Jugendlichen (Beispiel: Zivilisation als „Fortschritt“). In allen Testgruppen lag der Anteil bei knapp 100 %, der negative (Z. als Bedrohung) bei 10 %, wobei aber die Jungen negativer votierten als die Mädchen.

Gesamtfazit der Definitionen von „Kultur“ und „Zivilisation“:

  1. Kultur wird von diesen Jugendlichen in erster Linie als sichtbarer Ausdruck verstanden und weniger als rationales Konstrukt des Denkens. Insofern steht sie in der Vorstellung der Jugendlichen der Kunst näher als der Wissenschaft.
  2. Kultur wird stärker statisch, traditionsgebunden verstanden als dynamisch. Der dynamische Aspekt (Entwicklung, Veränderung) war dagegen bei Zivilisation stärker.
  3. Zivilisation ist im Denken der Jugendlichen insofern stark mit Kultur verknüpft, als sie ein „zivilisiertes Zusammenleben der Menschen“ (gemeint ist offensichtlich ein kultiviertes Zusammenleben) beinhaltet. Sie hat in den Köpfen der befragten Jugendlichen etwas mit (kultiviertem) „Benehmen“ zu tun, also mit „Verhaltenskultur“.
  4. Zivilisation wird von diesen Jugendlichen auch beim Nachdenken (Definitionen sind ja Produkte des Denkens!) sehr positiv gesehen. Die bekannten negativen Begleit-Erscheinungen, die bei den Freien Assoziationen noch genannt werden, treten dahinter stark zurück, – werden sozusagen „hinweggedacht“.
  5. Zivilisation wird gedanklich nur erschreckend wenig mit ihrem Motor, der Technik, verknüpft. Die Jugendlichen nutzen offenbar täglich die heutige Technik und leben irgendwie naiv in ihr, ohne aber ihre Rolle für das heutige Leben wirklich zu verstehen.
4.2.4 Verbifikationstest

Zu „Kultur“: Es wurden insgesamt 48 Verben für Kultur genannt. An der Spitze der Häufigkeiten steht, wie zu erwarten, „kultivieren“ mit 14x. Aus dem Wortstamm „Kultur“ folgen dann auch etwas künstlich konstruierte Verben wie „kulturalisieren“ (4x),  kulturisieren (3x), kulturen (2x), kulturieren (2x), verkulturellen (1x).

Aus anderen Wortstämmen stammten die Verben „zusammenleben“ (2x), „leben“ (2x), „erleben“ (1x), „ordnen“, „einteilen“, „pflegen“ (je 2x), „entwickeln“,„entstehen“, „verhalten“, „aufnehmen“, „dazugehören“, „zusammengehören“, „wiedererkennen“, „entdecken“, „unterscheiden“, „traditionalisieren“, „Geschichte“ (je 1x). Dabei kann „Geschichte“ durchaus einen zeitlichen Ablauf (wie ein Verb) zum Ausdruck bringen, ist aber der Form nach kein Verb, sondern ein Substantiv und erfüllt daher die Aufgabe des „Verbifizierens“ in diesem Test nicht voll.

Zu „Zivilisation“: Hier wurden insgesamt 72 Verben genannt. Davon entfallen aus dem Wortstamm von Zivilisation die Verben „zivilisieren“ (25x), „zivilisiert“ (2x) und „unzivilisiert“ (1x). Auch „zivil“ wurde genannt, das aber als Adjektiv hier nicht voll zu zählen ist.

Aus anderen Wortstämmen wurden angeführt „entwickeln“(4x), „gestalten“, „machen“,     „(er)schaffen“, „voranschreiten“, „erkennen“, „aufnehmen“, „akzeptieren“ (je 1x), „integrieren“ (2x), „anpassen“, „dazu gehören“, „einordnen“, „helfen“, „teilen“ (je 1x), „ordnen“ (3x), „strukturieren“, „leben“, „zusammenleben“, „besiedeln“, „bewohnen“(je 2x), „bevölkern“, „wohnen“, „bebauen“, „aufbauen“, „anreichern“, „zuweisen“, „anbinden“  (je 1x), „(sich) verhalten“ (2x),  „zivilisiert verhalten“, „benehmen lernen“, „erziehen“  (je 1x).

Fazit:   Von den aus den Wortstämmen „Kultur“ und „Zivilisation“ direkt abgeleiteten Verben einmal abgesehen (die ja nur eine formale Verwandtschaft anzeigen und zum Verständnis des Stammbegriffes nicht viel beitragen), drücken die hier genannten Verben Folgendes aus:

„Kultur“ hat nach Meinung der Schüler/innen etwas zu tun mit „Zusammenleben der Menschen“, mit „Verhalten“, „Ordnung“, „Pflege“, „dazugehören“, „Tradition“ und „Geschichte“. Kultur ist demnach in erster Linie ein soziales Phänomen und gehört nach Auffassung der jungen Leute nicht unbedingt in die Kategorie der geistig-intellektuellen Disziplinen (Wissenschaft, Kunst, Architektur, Philosophie, Religion usw.).

Diese Auffassung spiegelte sich schon in den Freien Assoziationen wieder (Tab. 8), wo Kunst und Wissenschaft nur den kleineren Teil von Kultur ausmachten, der soziale Aspekt aber im Vordergrund stand.

Interessant ist nun, dass auch „Zivilisation“ in den Augen der hier befragten jungen Menschen etwas zu tun hat mit „zusammenleben“, „benehmen lernen“, „integrieren“, „einordnen“ (Tab. 9), – also genau die sozialen Vorgänge, die ihnen bei „Kultur“ vorschweben. Die Freien Assoziationen wie auch die Definitionen sind also im Einklang mit dem hier vorgestellten Ergebnis des Verbifizierens und belegen eine deutliche Nähe der beiden Begriffe.

Dazu kommen aber hier, bei „Zivilisation“, auch Verben wie „entwickeln“, „gestalten“, „machen“, „(er)schaffen“, „bevölkern“, „bebauen“, die anzeigen, dass es bei diesem Begriff mehr um die aktive Gestaltung unserer Erde, um die Bewohnbarmachung unseres Planeten geht. Vom Worte ausgehend, das ja vom lateinischen „colere“= pflanzen, bebauen, pflegen abgeleitet ist, müsste dies aber genau „Kultur“ sein und eigentlich nicht „Zivilisation“, – ein Wort, das vom lat. civis = Bürger, Staatsbürger abstammt und das geordnete Zusammenleben der Menschen bezeichnet (das, was die Schüler hier mit „Kultur“ meinten).

Wir sehen: Die Begriffe „Zivilisation“ und „Kultur“ überlappen sich; Zivilisation steckt in Kultur als Teilbegriff drin. Eine Gleichsetzung bzw. Verwechslung verbietet sich aber, da im Begriff „Zivilisation“ – anders als in „Kultur“ – der Aspekt „Technik“ stark vertreten sein müsste. Dieser wichtige Unterschied kam jedoch bei „Zivilisation“ kaum zum Tragen (freie Assoziationen nur 7 %, Definitionen nur 27 %).

4.2.5 Aufg. 6: Sinneseindrücke zu Kultur und Zivilisation.

Tab. 12:

Sinnliche Übereinstimmungen zwischen den beiden Begriffen:: schwarz (Fettdruck). Technik: kursiv gedruckt.

Wertungen: pos (+); neg (-).     Zahlen in der jeweils unteren Zeile: Mittelwerte von ♀N – ♂N – ♀S – ♂S

Begriff Sehen Hören Riechen Schmecken Tasten/Spüren
 

 

 

 

 

Kultur

Tempel   Säulen (Volks)Tanz Menschen in unterschiedl. Gewändern fröhlich(+)

Gemälde & Skulpturen    arab.Dorf  Aquädukt  Dirndel

Lederhosen

Menschenmenge

Sprachen Trommeln

lautes Treiben

Musik  Klänge    Orchester Pop-/

Volksmusik

klass. Musik  buddh. Klänge

Krankenwagensirene (-)

große Variation v.

Räucherstäbchen

Gewürze    Rauch

salzig wie Meer

Staub/Dreck(-)

Rauch u.Essen

(Wildschwein)

Gewürze(+)

Zunge

Spaghetti mit

Tomatensoße(+)

Bier(+)

versch. Gerichte

leichtes Kribbeln    Wind   Sand   Blätter Holz Asche Zusammenhalt  Verbindung  dreckig (abwaschbar)(-)

Gefühlsqualitäten:

aufgeregt     kalt(-) vertraut(+)    schön(+)

Farbe:  bunt

schwarz weiß

1,5– 0,3–2,3– 0,9 1,5 -0,7–1,4 -0,8 0,3 -0–0,5-0,1 0–0–0,6-0,4 0,4-0,50,9-0,1
 

 

Zivilisa-

tion

viele Menschen    Dampf    Autos   Marktplatz  Groß-stadt  Hochhäuser Straßennetz   Erdkugel    Himmel    Feuer(-)  Zerstörg.  von Wäldern(-)      Rauch(-) Menschenmasse    Autos   reden

Lärm  (der Mitschüler) (-)

lachen  Geräusche  U-Bahnen

Krankenwagen-

sirene(-)

Abgase(-)  Autos

Auspuff (-)  Essen

Stadtgeruch(-)

keine frische

Luft (-)  Gestank(-)

Parfüm(+)

Erfolg (+)

Industrien (-)

Speichel

Asche

Kleidung/Stoff   dreckig(-)   Wunden(-)

Gänsehaut(+)  Massage (+)   Einengung (-)

Gefühlsqualitäten:

schlecht(-)   hart(-)      drückend(-)  rau(-)   Panik (-) Kopf  Brust-korb  schwere Atmg.(-)  leichter Schwindel(-)

Farbe:   grau
2,3 -1,2–1,0-1,1 2,0-3,2– 0,3 –0,5 1,3-0,6–0,5-0,4 0–0–0,4-0,1 1,2-0,4–0,9 -0,2

 

Ergebnis: Vergleich kognitive/sensorische Inhalte der beiden Begriffe

  1. Die dominierenden Sinne, sowohl bei „Kultur“ als auch bei „Zivilisation“, sind offenbar bei beiden Geschlechtern der Sehsinn und der Hörsinn. Riechsinn und Schmeck-sinn treten an Häufigkeit dahinter deutlich zurück. Der Tastsinn spielt jedoch bzgl. der Gefühlsqualitäten auch eine besondere Rolle.
  2. Bei „Kultur“ liegen die Mädchen im N wie auch im S an der Spitze, bei „Zivilisation“ ebenfalls sehr hoch (Ausnahme: Hören). Die Mädchen dieser Untersuchung waren also sehr sinnesstark.
  3. Die Sinneseindrücke zu „Kultur“ waren überwiegend sachlich; wenn emotional, dann positiv („+“: „−“= 6 : 4). Bei „Zivilisation“ ist das Gegenteil der Fall („+“:„−“= 4: 21). Das heißt: beim Einschalten der Sinne schlägt der positive Eindruck, den der Kopf beim Definieren machte, um und macht einer mehr negativen Bewertung Platz. Dabei spielen offenbar der Riech– und der Tastsinn die Hauptrolle („Abgase“, „Auspuff“, „Gestank“, „dreckig“. „kalt“, „hart“, „rau“).
  4. Da die negative Konnotation von Zivilisation nur hier bei der Sinnesaufgabe (Aufg.6) auftritt, nicht aber bei den „Kopf-Aufgaben“ 1, 3 und 4, müssen wir schließen, dass die „Kopfwelt“ des Gymnasiums einseitig und lückenhaft ist, wenn es um die Beurteilung unserer heutigen zivilisierten Welt geht.
  5. Wenn Schule das Ziel verfolgt, junge Menschen „für das Leben“ vorzubereiten, muss sie unbedingt eine stärkere Sinneskomponente in ihren Unterricht einbeziehen. Das kann vorrangig durch Kunstunterricht und Musik, aber auch in naturwissenschaftlichen Fächern durch Einbau von Experimenten in den Unterricht geschehen.

Zur besseren Übersicht und zur Charakterisierung des Sinnlichkeitsprofils der beiden Begriffe mitsamt seiner emotionalen Komponente sind in Tab. 13 noch einmal die Häufigkeiten der Sinnesangaben (der Sinnlichkeits-Index) sowie der AI und der PQ angegeben:

Tab. 13: Quantitatives Ergebnis zu den Sinneseindrücken „Kultur“ und „Zivilisation“

S = Sehen, H = Hören, R = Riechen, Sm = Schmecken, Sp = Spüren/Tasten.     Zahlen: Sinnlichkeits-Index SI.

SI  = Summe aller angegebenen Sinneseindrücke/Zahl der Schüler.   Rot: SI < 1Grün: SI > 2.

  Schüler Nord Schülerinnen Nord
  S H R Sm Sp AI PQ S H R Sm Sp AI PQ
Kultur 0,58 0,67 0 0 0,33 11,5 5,3 1,63 1,63 0,25 0 0,38 13 12
Summe 1,58 Summe 3,89
Zivili-sation 1,6 3,0 0,6 0 0,4 15,8 1,2 2,59 2,0 1,36 0 1,18 12,1 1,2
Summe 5,6 Summe 7,13
  Schüler Süd Schülerinnen Süd
  S H R Sm Sp AI PQ S H R Sm Sp AI PQ
Kultur 1,2 0,53 0 0,33 0,13 17,8 11,7 3,75 2,13 1,0 1,13 1,38 26,6 7,6
Summe 2,19 Summe 9,39
Zivili-sation 3,75 1,5 1,75 0,5 0,75 23,0 1,1 2,0 0,6 1,0 0,8 2,2 22,4 3,3
Summe 8,25 Summe 6,6

Die Tabelle zeigt deutlich folgende interessante Fakten:

  1. Die in der vorigen Tab. 12 festgestellten Unterschiede bzgl. der 5 Sinneskanäle werden hier noch einmal deutlich: Der Seh-Sinn liegt – mit Ausnahme der Schüler Nord, bei denen es interessanterweise der Hörsinn ist – an der Spitze, während der Riech- und der Schmecksinn am schwächsten herauskommen.  Dies entspricht auch weitgehend den Ergebnissen der Begriffe „Natur“ und „Evolution“ (Tab. 6 und 7), scheint also – begriffsunabhängig – ein generelles Sinnlichkeits-Phänomen zu sein.
  2. Die Zahl der von den Jugendlichen angegebenen sinnlichen Eindrücke ist erstaunlicherweise – mit Ausnahme der süddeutschen Mädchen – bei „Zivilisation“ höher als bei „Kultur“. Das ist besonders verwunderlich, wenn man an die starken Sinneseindrücke von Gartenkultur, Bekleidungskultur, Esskultur, Parfümerie, Architektur und Musikkultur denkt. Die Beobachtung entspricht aber insofern auch den Ergebnissen der anderen Testaufgaben, als in ihnen der soziale – und damit auch der „zivilisatorische“ – Aspekt besonders hervortrat. Warum hier die süddeutschen Mädchen so besonders herausfallen, bleibt zu untersuchen. Haben sie eine stärkere „Kultur-Wahrnehmung“ als die anderen Gruppen?
  3. Die sinnlichen Angaben zu beiden Begriffen sind, summarisch betrachtet, bei den süddeutschen Jugendlichen zahlreicher als bei den norddeutschen (S: Summe 26,4; N: Summe 18,2). Dies gilt bei den Mädchen nicht für Zivilisation, wo die Werte nahe beieinander liegen.
  4. Wenn man einmal den Nord-Süd-Gradienten außer Acht lässt, kann beim Vergleich der Geschlechter allein festgestellt werden, dass begriffsübergreifend die Sinnes-Angaben bei den Mädchen weitaus zahlreicher sind als bei den Jungen: Summe 27,01, Summe 17,6.
  5. Die mit den Sinnesangaben verknüpften emotionalen Tönungen (AI = pos. + neg.) sind bei den Jungen stärker bei Zivilisation, bei den Mädchen umgekehrt stärker bei Kultur.
  6. Bei Betrachtung des PQ (Positivitätsquotient pos./neg.) fällt auf, dass er in allen 4 Gruppen bei „Kultur“ sehr viel höher ist als bei „Zivilisation“. Das heißt: Kultur ist sehr positiv konnotiert, während Zivilisation auf der Sinnesebene deutlich stärker negativ erscheint.
    Dies entspricht auch dem Ergebnis des Freien Assoziationstests (Tab. 8 und 9) und spricht dafür, dass beim Umschalten vom bewusst gesteuerten Denken (Definitionstest), bei dem Zivilisation sehr positiv herauskam (Tab. 11), zu freiem Assoziieren oder sinnlicher Wahrnehmung die affektive Bewertung des Begriffes umschlagen kann. Und das belegt erneut, wie wichtig die sensorische Komponente für ein ganzheitliches Verständnis von Begriffen ist (die Außenhülle der „Klette“, Abb. 2).
4.3. Begriffe „Wirklichkeit“ und „Realität“

Wie eingangs erwähnt, ist die Untersuchung dieses Begriffspaares nur in Deutschland möglich, weil es den Begriff „Wirklichkeit“ in Japan nicht gibt. Der Vergleich der deutschen Ergebnisse mit den japanischen zum Begriff „Realität“ soll daher später in einem gesonderten Aufsatz erfolgen.

4.3.1. Freie Assoziationen

  1. a) zu „Wirklichkeit“; n ges = 41 Schüler; mges = 276 Assoziationen  (= 6,7 Ass./Schüler).

Tab. 14: Assoziationen zu „Wirklichkeit“.

nges= 41 Schüler;     mges= 276 Assoziationen (6,7 Ass./Schüler).     Alle Prozente auf mges bezogen.

Allgemeines, Formales Innere Wirklichkeit Äußere W. =  Realität
häufige

Ass.

Wahrheit 23x,  Leben 18x,  echt/ Echtheit15x,Natur/natürlich,Welt je 5x, Zeit 4x, Chaos, Wirkung, Erde,Sein,Mensch/en,Alltag  je 2x Traum/Träume, ehrlich je 5x, Jetzt 4x, emotional/Emotionen, Schmerz, Vor-stellung, keine Lüge, Sinn, glaubhaft, Irreales, Genauigkeit, Freundschaft, je3x, Hier u. jetzt, virtuell, Vertrauen, Trauer, Geheimnis, Not, nicht erfunden, Zusammenhalt   je 2x real 23x   Realität 19x  Tod 7x

Tatsache, Verwirklichung  je3x

Armut,  existieren    je 2x

82x = 29,7 % 57x = 20,6 % 59x = 21,4 %
Gesamtsumme der Mehrfachassoziationen: 198 = 71,7 %
 

 

 

 

Einzel-

ass.

verändernd, Bindung, verbinden, prüfen, berufl.Alltag, verwickelt, verzweigt, nicht variabel, Kompli-kationen,Ruhe,Naturwissenschaft, Ordnung, Physik, so ist es,Dimen-sionen, richtig, Zufall, Berührung, Sehen, Vergänglichkeit, Konsum, vorhanden, Arbeit, stimmt, zutreffend, Lebewesen, korrekt,  richtige Lösung Fantasie, assoziieren, ernst, hart, hier,

nichts wird vertuscht, unerwartet,  überraschend,  was man spürt,  Spaß,

nicht „fake“, Ethik, glücklich, Freude, Leid, verletzend, Hoffnung, Spiel, gut oder schlecht, wichtig das zu sagen, Höhen, Tiefen, Ärger oder nicht, Fröh-lichkeit, Gegenwart, Bildung, Abenteuer, Karma, ungelogen

kein Zurück, Geschichte ver-schönen, Kontakt,  realistisch,  realisieren, reales Geschehen, Universum, Raum, Bayern, Umweltverschmutzung, Sägen,  Beweise, Foto, sachlich, Schicksalsschläge, Familie, Umwelt, unfiktiv, anfassbar, real life,   Schule
28x = 10,1 % 29x = 10,5 % 21x = 7,6 %
Gesamtsumme der Einzelassoziationen: 78 =  28,2 %
Spalte

HI

110x = 39,9 %

2,9

86x = 31,2 %

2,0

80x = 29 %

2,8

Gesamtsumme aller Assoziationen: m ges = 276          HI = 2,5

 

Ergebnis zu „Wirklichkeit“:

  1. Der hohe Homogenitäts-Index HI >2 zeigt an, dass viele Assoziationen in der Klasse mehrfach genannt wurden, und das heißt wiederum: die Übereinstimmung unter den Schülern darüber, was „Wirklichkeit“ ist, ist auf der assoziativen Ebene relativ hoch.
  2. Der hohe Anteil (39,9 %) und das breite Spektrum von allgemeinen Assoziationen (z.B. Welt, Wirkung, Sein usw.) zeigt, dass die Jugendlichen „Wirklichkeit“ auch sehr allgemein (fast kann man sagen: „philosophisch“) verstehen und nicht zu sehr auf ihre eigene subjektive Wirklichkeit einengen.
  3. Interessant ist jedoch, dass der Anteil, der sich auf die innere Wirklichkeit (Traum, Vorstellung, Fantasie usw.) bezieht, etwa in der gleichen Größenordnung von 30 % liegt wie der auf die äußere Wirklichkeit, die „Realität“, bezogene (z.B. Realität, Tatsache, Beweise, unfiktiv, anfassbar usw.). Die beiden Begriffe „Wirklichkeit“ und „Realität“ scheinen paritätisch nebeneinander zu stehen.
  4. Bei der Analyse von Gefühlstönungen der Assoziationen kommt ein PQ von 4,1 heraus. Das heißt: Die gesamte Gefühlslage von „Wirklichkeit“ ist ausgesprochen positiv, was bei diesen Jugendlichen im kritischen Alter von 15/16 Jahren erstaunlich ist. Bei differenzieller Analyse der 3 Kategorien stellt sich aber heraus, dass diese positive Bewertung hauptsächlich vom Allgemeinen, Formalen (PQ = 11,2) und von der inneren W., der „Traumwelt“, herrührt (PQ = 3,2), dass aber die äußere W., die sogenannte „harte Realität“, mit PQ = 0,4 dahinter stark zurückfällt.

 

b) zu „Realität“;

Tab. 15:  n = 35 Schüler;  mges = 235 Assoziationen  (6,7 Ass./Schüler).

Prozente alle auf mges bezogen.

  Allgemeines,

Formales

innere Wirklichkeit äußere W.

=  Realität

Negationen
 

 

häufige

Ass.

Echt(heit) 21x,  wirklich-(keit) 19x    wahr-(heit)-sgemäß ,  Leben  je14x

Zukunft 6x, Vergangenh.5x

Gegenwart 3x, Beruf(swelt), heute,   hier und jetzt,

richtig        je 2x

Traum 6x

hart,Freunde,fiktiv/Fiktion je 4x

logisch,  Ehrlich (keit),  Lüge,

Film(-welt)       je 2x

real 12x,   Tod 4x,

bewiesen/Beweis 3x,

Schule,  Geld       je 2x

unveränder-

bar  3x

un-/irreal 2x

90x = 38,3 % 26x = 11 % 23x = 9,8 % 5x = 2,1 %
  Gesamtsumme der  Mehrfachassoziationen:  144 =    %
 

 

 

 

 

Einzel-

Ass.

Alltag, Zeit, Physik, Natur-wissenschaft, Relativitäts-theorie, richtig, Naturgesetze,manipulieren, hi, hallo, Dienstag, Umwelt, Ge-schehen, Existenz, zeitlich, eine Chance sowohl gut als auch schlecht, anstrengend,ernst,Mathematik, Vermögen,Wunsch,wirklich,ist,

Nächstenliebe, Spaß , frei, Klar-heit, Ansichtssache, kalt, wahr-nehmen, virtuell, Film, Menschlichkeit, schlecht, fröhlich, Hass, Liebe, emotional, wach, Trauer,

Ernst des Lebens, Kriminalität, glaubwürdig, Verstand, Wissen,   reell, Science fiction, vorstellbar, Unterwelt, reality show, Probleme, schwer verkraftbar

Technik, Realismus, Per-sonenverhältnis, Luft, Bo-denständigkeit, Auseinan-dersetzungen, Korruption, Fußball, bewiesen, Unendlichkeit, verwirklichen, Universum, Natur, Beryllium,Crunch,Elektro-nik, Feuer, reparieren, Jo-hannes, Zigarette, Familie, Tatsache, Menschen, Welt, Nachweis, vorhanden, berührbar Irreales, Unwirkliches, kei-ne erfundenen Geschichten, nicht Computer, ungeschönt,

nicht gestellt,

nicht geträumt nicht gespielt, kein Traum,

unfair,unglaub-würdig

16x = 6,8 % 37x = 15,7 % 27x = 11,5 % 11x = 4,7 %
  Gesamtsumme der Einzelassoziationen: 91 =   %
Spalte

HI

106x = 45,1 %

5,6

63x = 26,8 %

0,7

50x = 21,3 %

0,85

16x = 6,8%

0,45

  Gesamtsumme aller Assoziationen:  mges = 235             HI =  1,6

 

Ergebnis zu „Realität“:

  1. Zum Begriff „Realität“ sind sich die Schüler in der Kategorie „Allgemeines“ sehr einig (ein ungewöhnlich hoher Homogenitäts-Index von HI = 5.6), während die Assoziationen über die innere und äußere Wirklichkeit deutlich breiter streuen (HI 0,7 bzw. 0,85).
  2. Der außerordentlich hohe Anteil von „Allgemeinem“ (45,1 %) wie auch dessen breites qualitatives Spektrum (z.B. Echtheit, Zukunft, hier und jetzt, Zeit usw.) zeigt, dass die Jugendlichen nicht nur „Wirklichkeit“ sehr allgemein verstehen (s.oben), sondern auch „Realität“ und diesen Begriff nicht auf ihre eigene subjektive Sicht einengen.
  3. Interessant ist aber, dass der Anteil, der sich auf die innere Wirklichkeit (Traum, Lüge, Wunsch usw.) bezieht, mit 26,8 % deutlich höher ist als der Anteil in der dafür eigentlich zuständigen Spalte (äußere Wirklichkeit =„Realität“: 21,3 %). Das ist ein Indiz für die mangelnde Unterscheidung der beiden Begriffe und vielleicht auch für die Präferenz der Schüler für die innere Wirklichkeit (die Traumwelt) vor der äußeren „harten Realität“ (nach der hier aber gefragt war).

Dafür spricht auch, dass „Wirklichkeit“ mit dem PQ 4,1 (s. oben) viel positiver gesehen wurde als „Realität“, für die nur ein PQ von 2,9 heraus kam.

4.3.2  Gebundene Assoziationen

Abb. 6: Vergleich Wirklichkeit/Realität

Auch Abb. 6 lässt sofort erkennen, dass die beiden Begriffe, die im Alltag oft synonym verwendet werden (so dass der Begriff „Wirklichkeit“ in der japanischen wie auch englischen Sprache ganz fehlt!), in den Assoziationstests tatsächlich auch auffallend ähnlich herauskommen: In diesem Test hier liegen immerhin ähnliche Spitzen bei Zufall, Geschichte, Leben, Natur, Sinn, Tod, Wahrheit und Zeit, also bei 8 Randbegriffen des Tests.

Ein geringer quantitativer Unterschied dagegen – mit R > W – tritt auf bei Chaos, Tod, Sinn und interessanterweise auch bei Subjektivität, obwohl diese wegen ihrer Zugehörigkeit zur inneren Wirklichkeit eigentlich mehr bei W zu erwarten wäre als bei R.

Interessant ist auch, dass die Schüler trotz der naheliegenden verbalen Verwandtschaft von „Wirklichkeit“ und „Wirkung“ diese beiden Begriffe nicht miteinander verbinden: im Freien Assoziationstest (Tab. 14) unter 276 Assoziationen nur 2 mal (!) und im Gebundenen Test überhaupt nicht. Im folgenden Definitionstest haben wir daher „Wirkung“ sowohl aus etymologischen als auch inhaltlich-logischen Gründen bewusst in eine der beiden „Standard-Definitionen“ eingebaut.

Etymologische Betrachtungen wie diese (Wirklichkeit ↔ Wirkung) werden in der Schule – selbst im Sprachunterricht – offenbar nicht ausreichend gepflegt. Das ist bedauerlich, da durch sie eine wirksame Verknüpfung von Fachsprachen mit der Umgangssprache möglich wäre, die den Schülern durch den „Blick in die Vergangenheit“ von Worten das Verständnis der Begriffe erleichtern und eventuell vorhandene Abneigungen gegen Fachbegriffe vermindern würde.

4.3.3 Definitionen

Während die beiden Assoziationstests Teile aus dem Unbewussten anzapfen und damit Bereiche der menschlichen Psyche, die auch im Alltag stark handlungswirksam sind, verlangt der Definitionstest einen hohen Grad an Bewusstheit und an hoch-konzentriertem Denken. Daher ist bei Begriffsuntersuchungen immer damit zu rechnen, dass die Ergebnisse dieser beiden Testtypen stark auseinander fallen.

Wirklichkeit

Standard-Definitionen (2 Vorschläge):

1. Vom Worte ausgehend: Wirklichkeit ist alles, was wirkt  (was  der Kausalität unterliegt).

2. Von Schüler-Definitionen ausgehend:  Wirklichkeit ist alles, was Menschen erleben.

Schüler-Definitionen:   

Zutreffend:  „Wirklichkeit ist, was in der Realität passiert. Also auch was wir denken und fühlen, weil das ja auch wirklich ist.“ (Hier wird zutreffend ausgedrückt, dass beide  − die objektive Realität −, aber auch das  subjektive Erleben zur „Wirklichkeit“ dazu gehören).

Nicht zutreffend:  „Wirklichkeit ist das, was man glauben, wissen und sehen möchte.“ (Dies ist nur die „innere Wirklichkeit“. Die äußere, die „Realität“, fehlt in dieser Definition).

Realität

Standard-Definition:   Realität ist der objektiv nachweisbare Teil der Wirklichkeit,

Schüler-Definitionen:     

Zutreffend:

1.„Realität ist der Beweis für Sachen im Leben & auf der Welt, die wissenschaftlich bestätigend nachgewiesen sind.“ (Die hier genannten Forderungen „Beweis“ und „wissenschaftlich“ drücken das Kriterium „Objektivität“aus).

2. „Realität ist das Gegenteil von Traum und Irrealem.“ (Diese Definition entspricht insofern der Standard-Definition, als sie ausdrückt, dass es zwei Teile von Wirklichkeit gibt, deren einer („Traum und Irreales“) das Gegenteil vom zweiten, der „Realität“, ist.

Nicht zutreffend:  „Die Bezeichnung für die Wirklichkeit, in der es positive und negative Erlebnisse gibt“.  (Hier wird wieder einmal Realität mit Wirklichkeit gleichgesetzt. Außerdem bezieht sich der Nachsatz mit dem „Erleben“ sogar mehr auf die innere Wirklichkeit, also genau auf das Gegenteil von Realität).

In der folgenden Tab. 16 werden die wichtigsten Unterbegriffe vorgestellt, die in den Definitionen der Schüler enthalten waren. Aus ihnen und ihrer Häufigkeit wird der kognitive Gehalt der Begriffe „Wirklichkeit“ und „Realität“ (das Produkt des Denkens) deutlich:

Tab. 16: Gesamtbilanz der Definitionen zu Wirklichkeit

IW = innere (subjektive) Wirklichkeit;   AW = äußere, objektivierbare W. = Realität.  +/− = pos./neg. Beispiele

  BZ IW AW +/-
Gesamtbilanz ♀  (N+S)   n = 19 Stufe 3: 3x =15,8 %

Stufe 2: 14x =73,7 %

Stufe 1: 2x = 10,5 %

7x = 37 % 30x = 158 % 13+ = 68%

11− = 58%

Gesamtbilanz ♂  (N+S)   n = 21 Stufe 3: 5x =23,8 %

Stufe 2: 13x =61,9%

Stufe 1: 3x = 14,3 %

13x = 62% 38x = 181 % 20+ = 95%

9 − = 43%

Gesamtbilanz N (♀+♂)   n = 15 Stufe 3: 3x = 20  %

Stufe 2: 12x =  80 %

Stufe 1: 0x = 0 %

6x = 40 % 30x = 200 % 15+=100%

8− = 53 %

Gesamtbilanz S

(♀+♂)  n = 25

Stufe 3: 5x =  20 %

Stufe 2: 15x =  60 %

Stufe 1: 5x = 20 %

14x = 56% 38x = 152 % 18+ = 72%

12− =  48%

Gesamtbilanz

(♀ + ♂,  N + S)

n=40

Stufe 3: 8x = 20 %

Stufe 2: 27x = 67,5 %

Stufe 1: 5x =  12,5 %

20x = 50% 68x = 170 % 33+= 82,5%

20−= 50%

PQ = 1,65

Ergebnis von „Wirklichkeit“:

  1. In der gesamten Population ist die Qualität der Definitionen zu 2/3 mittelmäßig und nur zu 1/5 gut. Die schlechten belaufen sich auf etwa 1/8. Das Gesamtergebnis ist beklagenswert, entspricht aber wohl einer normalen Schulsituation.

1a.  Das Ergebnis der Mädchen ist insgesamt ausgewogener als das der Jungen. Bei diesen ist

es differenzierter:  mehr gute, aber auch mehr schlechte Definitionen als bei den Mädchen.

1b. Das Ergebnis ist in Norddeutschland etwas besser als in Süddeutschland.

  1. Obwohl nach „Wirklichkeit“ (insgesamt) gefragt war, drücken 3,4 mal so viele Definitions-Elemente die äußere wie die innere aus. Wirklichkeit wird also von diesen Schülern doch überwiegend als (äußere) „Realität“ verstanden.

2a. Das Verhältnis ist bei den Mädchen mit 4,3 : 1 deutlich größer als bei den Jungen (2,9 : 1).

2b. In Norddeutschland beträgt das Verhältnis  5 : 1, in Süddeutschland dagegen nur 2,7 : 1.

  1. Positive Beispiele von Wirklichkeit sind 1,65 mal so häufig wie negative. Das heißt: Wirklichkeit wird von diesen jungen Menschen eher positiv gesehen als negativ.

3a. Das Verhältnis pos/neg ist bei den Mädchen 1,2 : 1, bei den Jungen aber positiver (2,2 : 1).

3b. Es ist mit 1,88 : 1 in Norddeutschland  etwas positiver als in Süddeutschland (dort  1,5 : 1).

Tab. 17:  Gesamtbilanz der Definitionen zu Realität                 

BZ IW AW +/-
Gesamtbilanz ♀

(N+S)  n = 17

Stufe 3: 6x =35,3 %

Stufe 2: 11x =64,7 %

Stufe 1: 0x = 0 %

24x=141% 26x=152,9% 18+ =  106 %

6 − =  35,3 %

Gesamtbilanz ♂

(N+S)  n = 18

Stufe 3: 12x =66,7 %

Stufe 2: 1x = 5,6 %

Stufe 1: 5x = 27,8 %

13x=72,2% 23x=127,8% 12+ = 66,7 %

8 − =  44,4 %

Gesamtbilanz N

(♀+♂)  n = 16

Stufe 3: 7x =43,8 %

Stufe 2: 9x = 56,3 %

Stufe 1: 0x = 0 %

23x=143,8% 19x=118,8% 15+ = 93,8 %

9 − =  56,3 %

Gesamtbilanz S

(♀+♂)  n = 19

Stufe 3: 11x =57,9 %

Stufe 2: 3x =15,8 %

Stufe 1: 5x = 26,3 %

14x= 73,7 % 30x= 158 % 15+ = 78,9 %

5 −=  26,3  %

Gesamtbilanz

alle (N+S, ♀+ ♂)

n  = 35

Stufe 3: 18x =51,4 %

Stufe 2: 12x=34,3 %

Stufe 1: 5x = 14,3 %

37x=105,7% 49x= 140 % 30x+ = 85,7 %

14x- = 40 %

PQ = 2,1

Ergebnis von „Realität“:

  1. In der gesamten Population ist die Qualität der Definitionen zu „Realität“ deutlich besser als zum Begriff „Wirklichkeit“. Immerhin die Hälfte der Definitionen bewegt sich hier auf Stufe 3, und nur etwa ein Drittel auf Stufe 2. Es sieht so aus, als ob die jungen Menschen den Begriff „Realität“ rational besser begreifen können als „Wirklichkeit“, – vielleicht weil er objektiver und damit leichter fassbar ist.

1a.  Das Ergebnis ist bei den Mädchen, genau so wie bei „Wirklichkeit“, ausgewogener als bei den Jungen.

Bei diesen ist es zwiegespalten: sehr viel gute, aber auch mehr schlechte.

1b. In Norddeutschland ist die Qualität der Definitionen im Schnitt erheblich besser als in Süddeutsch-

land: fast die Hälfte der Definitionen bewegt sich auf Stufe 3 und die andere Hälfte auf Stufe 2, wäh-

rend es schlechte Definitionen überhaupt nicht gibt. In Süddeutschland dagegen finden wir zwar auch

zur Hälfte gute Definitionen auf Stufe 3, aber nur wenige auf Stufe 2 und sogar ein Viertel auf Stufe 1.

  1. Da hier nach „Realität“, der äußeren Wirklichkeit gefragt war, ist erstaunlich, dass das Verhältnis der Definitions-Elemente IW/AW immerhin 0,75: 1 beträgt, – der Anteil der Angaben zur inneren Wirklichkeit also doch relativ hoch ist. Auch dieser Befund bestätigt noch einmal die obige Feststellung, dass Wirklichkeit und Realität nicht scharf unterschieden werden, sondern dass in der Vorstellung der Jugendlichen die innere Wirklichkeit immer noch zu stark in die äußere hinein reicht (mangelnde Trennung der subjektiven von der objektiven Welt).

2a. Das Verhältnis IW / AW ist bei den Mädchen mit 0,92 : 1 deutlich größer, der Mangel an Unterschei-

dung bzw. Trennung also spürbarer als bei den Jungen mit ihren nur 0,56 : 1.

2b. In Norddeutschland ist dieses Verhältnis mit 1,2 : 1 sogar umgekehrt, das heißt: der Anteil der IW-

Elemente ist trotz der Vorgabe von AW im Test („Realität“) größer als der der AW-Elemente. In Süd-

deutschland dagegen ist das Verhältnis IW / AW mit 0,47 : 1 viel besser.

  1. Positiv anmutende Beispiele von Realität sind etwa 2,1 mal so häufig wie negativ anmutende. Das heißt: trotz der bei vielen Menschen so häufigen Beschwerden über die „harte Realität“ wird diese von den hier untersuchten Jugendlichen insgesamt doch positiver gesehen als negativ. Der Unterschied ist zwar auch gering, genau wie bei Wirklichkeit, aber doch größer als bei dieser und daher beachtlich und erfreulich.

3a. Das Verhältnis pos/neg ist bei den Mädchen mit 3: 1 sehr viel positiver als bei den Jungen mit 1,5: 1.

Das Verhältnis ist umgekehrt wie bei „Wirklichkeit“ und zeigt, dass eine affektive Gleichschätzung der

beiden Begriffe nicht vorliegt.

3b. Das Verhältnis pos/neg ist mit 1,6: 1 in Norddeutschland deutlich weniger positiv als in Süddeutsch-

land (3 : 1). Auch hier liegt also eine Umkehrung der affektiven Situation vor.

In der folgenden Tab. 18 werden die wichtigsten Unterbegriffe vorgestellt, die in den Definitionen der Schüler enthalten waren. Aus ihnen und ihrer Häufigkeit wird der kognitive Gehalt der Begriffe „Wirklichkeit“ und „Realität“ (das Produkt des Denkens) deutlich:

Tab. 18:  Definitionselemente von „Wirklichkeit“ und „Realität“

Wirklichkeit  (40 Definitionen) Realität  (35 Definitionen)
Unterbegriff Häufigkeit Unterbegriff Häufigkeit
echt/ehrlich 15 % echt/ehrlich 14,3 %
wahr/Wahrheit 20 % wahr/Wahrheit 14,3 %
Tatsachen/Fakten 10 % Tatsachen/Fakten 5,7 %
Träume/Gedanken/       ja

Vorstellungen             nein

7,5 %

12,5 %

Träume/Vorstellungen   ja

nein

0 %

22,9 %

real/Realität 32,5 % wirklich/Wirklichkeit 25,7 %
passieren 20 % passieren 20 %
Leben 42,5 % Leben 45,7 %
sterben/Tod 5 % sterben/Tod 2,9 %
Jetzt 5 % Hier und Jetzt 20 %
Wissen 5 % Wissen 5,7 %
Wissenschaft 2,5 % Wissenschaft 5,7 %
Glaube 2,5 % Beweis 2,9 %
Mensch 5 % Mensch (inkl. Innenwelt) 20 %
Sinnesempfindungen 12,5 % Sinnesempfindungen 5,7 %

Ergebnis der Definitionstests zu „Wirklichkeit“ und „Realität“:

  1. Anhand der Farbangaben (grün: positiv im Sinne der obigen Standard-Definitionen; rot: im Widerspruch zu ihnen) wird deutlich, dass „Wirklichkeit“ und „Realität“ von den Schülern auch bei reiflichem Nachdenken nicht so unterschieden werden, wie es unsere Standard-Definitionen erfordern würden: „Realität“ wird nicht als Teil (Untermenge) der gesamten Wirklichkeit verstanden. Das kommt schon dadurch zum Ausdruck, dass – ganz im Gegensatz dazu – 25,7 % der Definitionen Wirklichkeit in die Realität mit einbeziehen.
  2. Richtig ist jedoch – gemäß den Standard-Definitionen –, dass 7,5 % der Schüler auch Träume/Gedanken/Vorstellungen in „Wirklichkeit“ (nämlich die innere) mit einbeziehen, andererseits aber keiner von ihnen (0 %) dies bei „Realität“ tut. Entsprechend schließt auch ein hoher Prozentsatz von ihnen (22,9 %) dies explizit aus. Das spricht für ein zutreffendes Verständnis von „Realität“ bei ihnen als des äußeren (nachweisbaren) Teils der Wirklichkeit.
  3. Richtig ist auch, dass viele Schüler (32,5 %) bei „Wirklichkeit“ auch „real/Realität“ nennen, diese also in Wirklichkeit mit einbeziehen. Falsch  – nach unserem Standard – ist dagegen, dass 25,7 % dies auch umgekehrt tun (Wirklichkeit – als Ganzes – in Realität einbeziehen ).
  4. Zutreffend für „Wirklichkeit“ ist dann auch die dort verzeichnete relativ hohe Zahl von „Sinnesempfindungen“ (12,5 %), da mit „Empfindungen“ vermutlich wieder der innere Teil von „Wirklichkeit“ angesprochen wird.
  5. Dem entspricht vermutlich auch die sehr häufige Nennung von „Leben“ (mehr als 40 %), sowohl bei „Wirklichkeit“ als auch bei „Realität“. Dies könnte eventuell wieder für eine subjektive Innenschau (nämlich das eigene Leben und Erleben) sprechen, was bei Wirklichkeit korrekt wäre, bei Realität aber nicht. Im gleichen Sinne bedenklich wäre dann auch die häufige Nennung von „Mensch“ auf der Realitätsseite (20 %).
  6. Auffallend ist die niedrige Häufigkeit von Angaben zu „Tatsachen“, „Beweis“, „Wissen“ und „Wissenschaft“, wo diese doch gerade dazu dienen, „Realität“ zu dokumentieren. Das müsste den Schülern aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht der Gymnasien eigentlich geläufig sein.
  7. Schließlich fällt auf, wie oft in den Definitionen „echt/ehrlich“ und „wahr/Wahrheit“ genannt wird (bei „Wirklichkeit“ noch etwas mehr als bei „Realität“).

Das kann vielleicht eine interessante philosophische Diskussion über den Wahrheitsbegriff eröffnen: Wenn es nämlich zwei Bereiche von „Wirklichkeit“ gibt (den inneren und den äußeren, die Realität), dann muss es auch zwei verschiedene „Wahrheiten“ bzw. „Echtheiten“ geben: eine innere, subjektive und eine äußere, objektive.

Mit der einen sind wir allein auf uns und unser ehrliches subjektives Erleben gestellt (Wahrheit im Sinne von „Wahrhaftigkeit“) und unterliegen keinem äußeren Zwang, während die andere intersubjektiv kommunizierbar sein und sich daher dem Zwang äußerer Beweise stellen muss.

4.3.4 Verbifizierungen

Zu Wirklichkeit:

Von den 55 genannten Verben stehen die sprachlich verwandtenverwirklichen“ (20x) bzw. „wirken“ (8x), „wirklich sein“ (2x), bewirken, wirklich passieren (je 1x) deutlich an der Spitze.

Aber auch der Wahrheitsbegriff spielt, so wie bei den Definitionen, wieder eine Rolle (ähnlich wie bei „Realität“, s. unten): „wahr sein“ (4x), „Wahrheit sagen“, „wahr werden lassen“, „nicht unwahr sein“(je 1x), wie auch „echt sein“ (1x), vor allem aber die Wortgruppe um „real“, „realisieren“ (5x).

Weitere Verben, die hier genannt werden, sind wie bei den Definitionen „existieren“ (2x), „leben“ (2x), „passieren“, „geschehen“, „sterben“, „wandeln“, ferner einige nur äußerlich beschreibende Verben wie „festlegen“ und „bestimmen“ (je 1x).

Zu Realität:

Von den 44 Verben, die zu „Realität“ genannt wurden, entfallen schon allein 16 auf „realisieren“ und 3 auf „real“ bzw. „realmachen“. Das heißt: schon 19 von den genannten 44 Verben gehören allein sprachlich in den Bereich des Testwortes. Allerdings kommt auch der parallele Wortstamm „Wirklichkeit“ wieder zur Geltung mit „verwirklichen“ (4x).

Ein anderer wichtiger Wortstamm von Realität ist – wie bei „Wirklichkeit“ – wieder „Wahrheit“: „wahrnehmen“ bzw. „die Wahrheit zeigen“ (4x).

Inhaltlich (nicht sprachlich) zu „Realität“ gehörig sind außerdem „erkennen“ (2x), „durchschauen“ (2x), „herausfinden“, „feststellen“, „erklären“, „verdeutlichen“  (je 1x), aber auch „echt“ (machen) (2x), „sein“, „existieren“, „leben“ (je 1x). Es sind Verben, die sehr schön zeigen, wie die Jugendlichen sich den Prozess der Realitäts-Konstruktion vorstellen. Es ist der Prozess, der Grundlage von „Wissenschaft“ ist. Erstaunlich nur, dass der Begriff „Wissenschaft“ in den Schüler-Definitionen (Tab.18) kaum vorkommt!

Dazu treten dann auch, wie oben, einige mehr äußerlich beschreibende Verben wie „beschreiben“, „bemerken“, „akzeptieren“, „relativieren“  (je 1x).

   In Tab. 19 werden in der oberen Zeile einmal die „Brücken-Verben“ herausgestellt, die beide Begriffe schon allein sprachlich miteinander verbinden, und ihre Ähnlichkeit – aber anhand der verschiedenen Häufigkeiten durchaus auch schon ihre Unterschiede – anzeigen.

In der zweiten Zeile sind Verben angegeben, die beide Begriffe inhaltlich miteinander verbinden. Sie sind für das tiefere Verständnis der Begriffe besonders aufschlussreich.

In der unteren Zeile sind dann Verben angegeben, die beide Begriffe sprachlich und inhaltlich voneinander trennen. Sie können für die Unterscheidung von „Wirklichkeit“ und „Realität“ wichtig sein.

Tab. 19: Verknüpfung von „Wirklichkeit“ und „Realität“ über gemeinsame Verben

Typen Wirklichkeit   (55 Verben) Realität   (44 Verben)
wortver-

wandte

Verben

verwirklichen, wirken, wirklich sein,

bewirken, wirklich passieren     (58,2 %)

real, realisieren (zusammen  9,1 %)

verwirklichen    (9,1 %)

realisieren,  real,  real machen    (43,2 %)

Summe: 67,3 % 52,3 %
inhaltlich

ver-wandte

Verben

wahr sein,  wahrnehmen,  Wahrheit

sagen,  wahr werden lassen, nicht

unwahr sein   (zusammen  12,7 %)

existieren (3,6 %)     leben (3,6 %)

echt (sein)  (1,8 %)

wahrnehmen, die Wahrheit zeigen  (zusammen  9,1 %),

erkennen, durchschauen, herausfinden, feststel-  len  (zusammen 13,6 %)

existieren  (2,3 %)      leben (2,3 %)

echt (machen)  (zusammen  4,5 %)

Summe: 21,7 % 31,8 %
andere

Verben

passieren, geschehen, sterben, wandeln (zusammen  7,3 %)

festlegen, bestimmen (zusammen  3,6 %)

erklären, verdeutlichen (zusammen  4,5 %)
Summe: 10,9 % 4,5 %

Die Zusammenstellung in der Tabelle zeigt, dass etwa die Hälfte der Verben einfach Wortvarianten der Stichworte sind, also zu deren tieferem Verständnis nicht viel beitragen. Dagegen geben die inhaltlich verwandten Verben, die etwa ein Viertel ausmachen, wichtige Hinweise: „Wahrheit“, „echt sein“ und „existieren“ spielen dabei eine herausragende Rolle.

4.3.5 Sinnlichkeitstest

In der folgenden Tab. 20 sind die Sinneseindrücke wiedergegeben, die die Schüler in Aufg. 6 zu den von ihnen bearbeiteten Begriffen angegeben haben. In der Zeile unter den qualitativen Angaben sind die Ergebnisse quantifiziert, und zwar jeweils in der Reihenfolge Mädchen Nord – Jungen Nord – Mädchen Süd – Jungen Süd (♀N – ♂N – ♀S – ♂S).

Die Zahlen bedeuten den „Sinnlichkeits-Index“ SI (Quotient: Zahl aller Sinnesangaben/ Zahl der Schüler). SI > 2 bedeutet einen hohen Index; er ist grün hervorgehoben. SI < 1 bedeutet einen bedenklich niedrigen Index; er ist rot hervorgehoben und sollte Anlass zum Nachdenken über den Unterricht geben.

Ähnliche Sinneseindrücke zu „Wirklichkeit“ und „Realität“ sind durch Fettdruck hervorgehoben, so dass eine sinnliche Verwandtschaft der beiden Begriffe sofort erkennbar wird.

Schließlich sind in dieser Tabelle auch emotionale Tönungen der Sinnesangaben durch (+) und (−) markiert, damit diese Seite der Sinneseindrücke ins Auge fällt. Dadurch soll hier auch ein Beitrag geleistet werden zur notwendigen Unterscheidung von „Empfindungen“ (Sinnesempfindungen) und „Gefühlen“, die in der Alltagssprache leider oft verwechselt werden.

 

Tab. 20: Beispiele von Sinneseindrücken zu Wirklichkeit und Realität

 

Begriff Sehen Hören Riechen Schmecken Tasten/Spüren
 

 

 

 

 

 

 

Wirk-lichkeit

Natur und Städte,

konkretes Bild, die Welt, Wüste(-), ver-trocknetes Land(-), Krieg (-), leidende Menschen(-), Tier-quälerei(-), Massen-tierhaltung(-),  zer-störte Umwelt(-),

Armut(-), Hungers-not(-),Müll(-), meinen toten Bruder (-)

Straßenverkehr,

Weinen(-),  ein Lied,  Kirchenmu-sik(+),    afrikan.

Musik(+) 2x,  eine Stimme, Kranken-wagen(-), viele Stimmen; Tiere schreien(-);  still, mein Herzschlag (+); leichtes Säuseln von Wind(+); Schüsse(-), Schreie (-)

Verwesung (-),

Gestank (-),   Wald,

frisch (+)

kein Essen,   tro-ckener Mund (-), Prickeln auf der Zunge prickelnd (+); kann ich nicht beschreiben; ein Kribbeln i. ganzen Körper; Kribbeln, sonst Leere(-), normal wie als sitzt man in einem Raum;  Kribbeln,  stechen(-);Krankheiten (-) 2x;    erdrückendes Ge-fühl (-),  schwere Last(-);

Kälte, nicht schön, weil ich die Wirklichkeit meistens mit etwas  Schlim-mem verbinde (-); Wärme auf den Händen (+); ich fühle Trauer(-);   Schauer

Farben: blau(+) 3x, rot, schwarz(-),dun-kel(-), -rot,  braun, bunt(+) 2x, weiß(+) 3x       grün(+) 2x,  gelb 2x

schwarz-weiß

Gefühlsqualitäten:

kalt(-),traurig(-)2x, gut(+), schlecht (-),   doof (-) 2x

3,1 – 4,4 0,8 – 0,8 0,7 – 2,6 0,3 – 0,2 0,2- 0,4 – 0 – 0 0,2 – 0,6 –0 – 0 1,6 – 2,4 0,5 – 0
 

 

 

 

 

Realität

Klasse 2x,  mur-meln, Stimmen,  Wind,   Sirenen u. Autohupen(-);    Gespräche;  das Lied „Bist du real“ (+); Geräusche, die Mitmenschen produzieren. dreckiger Geruch

von Abgasen (-),

Bitterkeit (-)

frische Luft (+),

Geruch der Mit-

menschen (-)

Zahnpasta,

Kuchen (+),

etwas Bitteres

kribbeln  wie Luftzug;

mein Stift in der Hand;

mein Arm auf d. Tisch

Gefühlsqualitäten:

Kälte(-), hart(-), riskant(-),   wunderschön (+),     als würde man schweben (+),

außergewöhnlich,

beeindruckend(+)

Alltag,     Schule,

mein Leben; Licht, das leicht durch die Augenlider scheint; Szene, wo Menschen eine Straße auf und ab laufen;  Wahl → Oberstufe;  meine Zukunft; Welt heutzutage;  dreckige, vielbewohnte Städte (-)

Farben: weiß→grau

einige Farbpunke, rot, gelb , blau(+)5x

schwarz(-)5x

1,0 – 1,4 2,3 – 1,5 0,3- 0,6 –0,5-0,5 0 – 0,3 – 0,5 – 0,5 0,1 – 0,1– 0,3 – 0 0,1 – 0,3 – 1,3 – 1,8

Ergebnis des Sinnlichkeitstests zu „Wirklichkeit“ und „Realität“:

Schon ein kurzer Blick auf die Tabelle zeigt, dass sich das Ergebnis der Sinnlichkeits-Messungen zu den anderen Begriffen (was die Verteilung der 5 verschiedenen Sinneskanäle betrifft) hier wiederholt: An der Spitze steht wieder der Sehsinn (obwohl ja „Wirklichkeit“ und „Realität“ als abstrakte Begriffe eigentlich gar nicht sichtbar sind!). An zweiter Stelle rangieren teils der Hör-, teils der Tastsinn, und ganz am unteren Ende folgen Geruchs- und Geschmackssinn.

Was die emotionale Qualität der Sinneseindrücke betrifft, so fällt auf, dass hier positiv anmutende nur schwach vertreten und negativ anmutende bei weitem in der Überzahl sind. „Raue Wirklichkeit“ und „harte Realität“ als unangenehme Erlebnisse stehen offenbar im Vordergrund, weil sie dem Traum von einem „schönen Leben“ entgegen stehen (siehe auch die häufige Nennung von „Leben“ in den Definitionen, Tab. 18).

Zur besseren Übersicht über das Sinnlichkeitsprofil und zur Darstellung seiner emotionalen Komponente sind in Tab. 21 noch einmal der „Sinnlichkeits-Index“ SI (durchschnittliche Häufigkeit = Zahl der Sinneseindrücke/Zahl der Schüler), die Gesamtzahl der emotionalen Tönungen (AI = Summe aller „+“ und „−“) sowie der  PQ (Positivitäts-Quotient = Summe „+“/ Summe „−“) angegeben.

Tab. 21:  Quantitatives Ergebnis zu den Sinneseindrücken „Wirklichkeit“ und „Realität“

SI < 1 wird wieder rot, SI > 2 grün hervorgehoben, um besonders geringe und besonders starke Sinnlichkeiten anzuzeigen.

  Schüler Nord Schülerinnen Nord
  S H R Sm Sp AI PQ S H R Sm Sp AI PQ
Wirklichkeit 4,6 3,4 0,4 0,6 2,8 20 1,6 3,1 0,7 0,2 0,2 1,7 18 1,6
Summe 11,8 Summe 5,9
Realität 1,57 0,57 0,43 0,14 0,29 12,9 1,4 1,06 0,33 0 0,11 0,11 13,3 1,2
Summe  3,0 Summe 1,61
  Schüler Süd Schülerinnen Süd
  S H R Sm Sp AI PQ S H R Sm Sp AI PQ
Wirklichkeit 0,8 0,2 0 0 0 16 2,1 0,75 0,25 0 0 0,75 17,7 1,8
Summe 1,0 Summe 1,75
Realität 1,25 0,5 0,25 0 1,75 20 2,8 1,75 0,5 0,75 0,25 1,25 18,7 2,6
Summe 3,75 Summe 4,5

Ergebnis: 

  1. Wie die Tabelle zeigt, waren emotional behaftete Sinneseindrücke (AI) im Norden bei „Wirklichkeit“ stärker vertreten als bei „Realität“ (20 : 12,9;  18 : 13,3), im Süden dagegen umgekehrt bei „Realität“ stärker als bei „Wirklichkeit“ (20 : 16; 18,7 : 17,7). Das zeigt schon, dass die beiden Begriffe auch in der Sensorik von Nord und Süd nicht gleich geartet sind.
  2. Dieser Unterschied zeigte sich ferner im PQ: im Norden war die Vorstellung affektiver Sinneseindrücke zu „Wirklichkeit“ positiver als zu „Realität“ (1,6 : 1,4; 1,6 : 1,2), im Süden dagegen positiver zu „Realität“ als zu „Wirklichkeit“ (2,8 : 2,1; 2,6 : 1,8).
  3. Ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern war in der Vorstellung affektiver Sinneseindrücke (AI und PQ) nicht festzustellen. Allerdings ist ein eklatanter Geschlechtsunterschied in der Häufigkeit von Sinneseindrücken überhaupt (SI) zu beob-achten: Die Nord-Jungen äußerten sowohl bei „Wirklichkeit“ als auch bei „Realität“ mehr Sinnesangaben als die Nord-Mädchen (11,8 : 5,9; 3,0 : 1,61), während umgekehrt die Süd-Mädchen bei beiden Begriffen mehr Angaben machten als die Süd-Jungen (1,75 : 1,0; 4,5 : 3,75).
  4. Wie im Ergebnis von Tab. 20 schon angegeben, finden wir die höchste Durchschnittszahl von Angaben zu Sinneseindrücken, sowohl im Norden als auch im Süden, und unabhängig vom Geschlecht, beim Sehen. An zweiter Stelle steht bei den Nord-Jungen offenbar das Hören, bei den anderen drei Gruppen aber das Tasten/Fühlen.
    Riechen und Schmecken sind dagegen in allen vier Gruppen nur schwach vertreten. Dies sind offenbar die Sinneskanäle, die nicht nur bei Natur und Evolution, Kultur und Zivilisation, sondern auch in der Vorstellung von Wirklichkeit und Realität der Jugendlichen die geringste Rolle spielen. Das ist deshalb verwunderlich, weil ja diese beiden Sinne (Duft und Geschmack) in der Jugend noch stark entwickelt und im täglichen Leben auch stark gefragt sind.
5. Schlussbilanz

In der Überschrift zu diesem Bericht stehen einige Fragen, deren Beantwortung jetzt nach Durchsicht aller einzelnen Aufgaben versucht werden soll.

5.1 Verstehen Gymnasialschüler in Deutschland noch ihre Welt?

Wenn wir einmal davon ausgehen, dass zum „Verstehen unserer Welt“ unbedingt das Verstehen von Natur, Evolution, Kultur, Zivilisation, Wirklichkeit und Realität gehört, dann können wir die Frage nicht bejahen. Weder verstehen die jungen Menschen, die wir hier befragt haben, Natur als Prozess in Entwicklung, noch Evolution als Eigenschaft der Natur, noch die Beziehung zwischen Kultur und Zivilisation (Obermengen-/Untermengen-Beziehung), noch die Rolle der Technik für die heutige Zivilisation, noch die Beziehung zwischen Wirklichkeit und Realität (ebenfalls eine Obermengen-/Untermengen-Beziehung). Hier wäre eine intensivere Behandlung solcher Themen in der Schule unbedingt notwendig.

 5.2 Wo ist ihre Natur, ihre Kultur, – noch in den Sinnen, oder nur im Kopf?

Die kognitiven Aufgaben 1, 3, 4 und 5 und die sensorische Aufgabe 6 des Schülertests lassen erkennen, dass der kognitive Teil der Begriffe (der logische Kern und ein Teil der assoziativen Begriffshülle) und der sensorische Teil auseinanderfallen. Sie stehen hier und da im Gegensatz zueinander.

Offensichtlich sind die Schüler durch das Gymnasium stark „verkopft“ und in den Sinnen „verarmt“, was zu einem bedenklichen Ungleichgewicht in der Psyche der Jugendlichen führt. Eine solch einseitige „Kopf-Bildung“, in der die Sinne zu wenig geübt werden, läuft aber Gefahr, irgend-wann auch „sinn-los“ zu werden.

Es wäre daher notwendig, dass die Gymnasien mehr als bisher die Schüler nicht nur im Denken, Kategorisieren, Abstrahieren, Memorieren trainieren (so wichtig das auch für das spätere Leben und die Vorbereitung auf das Berufsleben ist), sondern dass sie über Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten/ Fühlen den Sinnen mehr Nahrung zuführen. Dazu braucht es eine stärkere Betonung der künstlerisch/musischen Fächer (Kunst + Musik), des Sportunterrichts wie auch der Naturwissenschaften mit ihren vielfältig möglichen sinnlich anspruchsvollen Experimenten.

5.3 Unterscheiden die Jugendlichen Kultur von Zivilisation, Wirklichkeit von Realität?

Wie unter 1 schon ausgeführt, muss diese Frage insofern verneint werden, als die Jugendlichen zwar Unterschiede sehen, diese aber begrifflich nicht klar fassen können. Sowohl Kultur und Zivilisation als auch Wirklichkeit und Realität gehen stark durcheinander, werden zum Teil sogar gleichgesetzt und verwechselt. Dabei müsste es den Schülern eigentlich nach mehreren Jahren Mathematik-Unterricht und Mengen-Lehre leicht fallen, die Begriffspaare im Sinne einer Obermengen-/Untermengen-Beziehung klar zu positionieren:

Kultur und Zivilisation sind weder identisch noch ganz verschieden, sondern die eine (Zivilisation) kann vernünftigerweise als Teil/Untermenge der anderen (der Kultur) verstanden werden, und zwar: der durch Technik entwickelte, geförderte (aber auch gefährdete!) Teil.

Und für Wirklichkeit und Realität gilt das Gleiche: sie sind weder identisch noch ganz verschieden, sondern die eine (Realität) kann vernünftigerweise als Teil/Untermenge der anderen (der Wirklichkeit) verstanden werden, und zwar der durch intersubjektive Verfahren belegbare („äußere“) Teil. Bei dieser klaren, methodisch begründeten logischen Beziehung zwischen den beiden Begriffen bleibt dann die andere Teilmenge von Wirklichkeit übrig: die „innere“ (subjektive) Wirklichkeit – Sitz von Vorstellungen, Ideen, Träumen, die für den Einzelnen genau so „wirklich“ sind wie äußere Fakten, weil sie ja (innen) „wirken“ und dort sehr oft – gerade in der Jugend – enorme „Wirkungen“ entfalten!

Auch hier ist die Schule aufgefordert, immer wieder an das praktische Leben zu denken, indem sie zum Beispiel Mengenlehre und Logik aus dem Elfenbein-Turm der Mathematik herausholt und in alle anderen Fächer mit einbaut, weil ja schließlich „Begriffsbildung“ in ihnen allen betrieben wird! Hier ist nicht nur die Lehreraus-, sondern vor allem die Lehrerfortbildung gefragt.

„Non scholae, sed vitae discimus“ sagten schon die Römer!

 

Danksagung und nachwort

Die hier vorgelegten empirischen Studien wurden an 52 deutschen Lehrkräften von Gymnasien (101 Fachauskünfte) und 104 japanischen Lehrkräften (104 Fachauskünfte) sowie an 207 deutschen Gymnasialschülern/-schülerinnen vorgenommen.

   Die deutschen Lehrkräfte und Schüler/-innen wurden durch freundliche Unterstützung von Frau Regina Bernauer, Frau Angelika Hartmann, Herrn Dr. Michael Sinzinger und Herrn Thomas Stockerl gewonnen, denen hier noch einmal unser besonderer Dank ausgesprochen sei. Auch den an der Untersuchung direkt beteiligten Lehrerinnen und Lehrern sowie den Schülerinnen und Schülern möchten wir an dieser Stelle noch einmal herzlich dafür danken, dass sie Zeit und Mühe nicht gescheut haben, den umfangreichen und auch anspruchsvollen Test zu bearbeiten. 

   Die Projektgruppe bestand in Deutschland aus Prof. Dr. Gerhard Schaefer (Univ. Hamburg, Projektleitung Deutschland, Leiter der ehemaligen GDNÄ-Bildungskommission, Erziehungs- und Naturwissenschaftler), seiner Frau Sigrid Zörgiebel-Schaefer (Musiklehrerin, Atemthera-peutin) sowie Herrn Dr. Michael Sinzinger (Fachlehrer Physik u. Mathematik), in Japan Mr. Ryoei Yoshioka (Projektleitung Japan, Forschungsleiter am NIER Tokyo), Prof. Dr. Matsuhiko Terada (Chemiedidaktiker, Gifu University), Prof. Dr. Takeshi Fujita (Science Educator, Chiba University) und Prof. Dr. Stefan Kaiser (Linguist, ehemals Tsukuba University).

   Die hier vorgelegten Daten sind empirisch gewonnen, also „wahr“ im Sinne empirischer For-schung. Die empirische Basis (mehr als 100 Fachaussagen von Lehrkräften, 207 Schülertests) ist zwar, statistisch gesehen, schmal, aber doch breit genug, um berechtigte Fragen aufzuwerfen im Sinne von „könnte es sein, dass …?“

   Es handelt sich hier also nicht um eine Großstudie wie PISA, die mit Tausenden von Probanden und in vielen verschiedenen Ländern operiert und am Ende aussagen soll, wie die Dinge (mit hoher Wahrscheinlichkeit) „sind“ und wie sich Länder unterscheiden. Stattdessen hat diese kleinere Studie einen heuristischen Wert, indem sie berechtigte Fragen aufwirft an Fachlehrer, ihren Unterricht, ihre Aus- und Fortbildung, – Fragen, die am Ende zu einer Verbesserung des Unterrichts beitragen können, indem sie Dinge ansprechen, die zwar nicht „sind“, aber mit einer gewissen Wahrschein-lichkeit (wenn wir nur wollen) „sein können“.

 

Literatur

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nis. Hamburger Beiträge zur Erziehungswissenschaft  Nr.1,  S.53-58

“        (Hrsg.) für die GDNÄ, 2002, 2007: Allgemeinbildung durch Naturwissenschaften.  Denk-

schrift der  GDNÄ-Bildungskommission. Aulis: Köln.  Kurzfassung 2010. Ergänzung 2014.

“        (Hrsg.), 2009: Nicht-gebildete Bildung? Schule auf der Suche nach Sinn. Peter Lang: Frank-

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“        2015:  Faszination Bildung – Vorbild Natur? Naturwiss. Rundschau  (NR)  10, 83-91

”        u. Yoshioka, Ryoei, 2000: Balanced Thinking. An Educational Perspective for 2000+ on the

Basis of a Cross-cultural German/Japanese Study. Peter Lang; Frankfurt a.M.

“        u. Manitz-Schaefer, Regina, 2002: Zickzack-Lernen. Ein erfolgreicher  Weg vom Halbwissen

zum Wissen. Peter Lang: Frankfurt a.M.

”        u. Yoshioka, Ryoei,  2014: Thinking and the Sense of Life. A Comparative Study of Young

People in Germany and Japan.  Educational Consequences. Peter Lang: Frankfurt a.M.

Prof. Dr. Gerhard Schaefer

Naturwissenschaftler, Bildungsforscher

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